Tödliches Gift

Vorsätzliche Vergiftung von Wanderfalken. In der Schweiz wurden in den letzten Jahren an diversen Orten geschützte Wanderfalken vergiftet. Eine vom SVS koordinierte Arbeitsgruppe und die Polizei sind den mutmasslichen Tätern auf der Spur – doch zu rechtskräftigen Verurteilungen ist es noch nicht gekommen.


Was für ein Schock für die Fangemeinde des Wanderfalkenpärchens am Hochkamin an der Josefstrasse in Zürich. Die Video­übertragung vom Brutplatz in 92 Metern Höhe, die normalerweise schöne Einblicke ins Leben der Falkenfamilie ermöglicht, lässt Dutzende von Zuschauern live Zeugen eines Dramas werden. Am 9. Mai 2011 um 7.29 Uhr landet das Wanderfalken-Weibchen mit einer Taube auf dem Vorplatz und beginnt sie zu rupfen. Nach einigen Sekunden schwankt es plötzlich. Die Jungen eilen aus dem Nistkasten und erleben, wie ihre Mutter vornüber stürzt und nach einigen Minuten qualvoll verendet. 

Grün Stadt Zürich, welche den Nistkasten zusammen mit der Orniplan AG 1997 montiert hatte, liess den toten Falken analysieren. Die Untersuchungen ergaben, dass der Falke an einem Nervengift gestorben war. Dieser Befund alarmierte neben Grün Stadt Zürich und Orniplan auch den SVS/BirdLife Schweiz, die Vogelwarte Sempach und mehrere Wander­fal­ken-Spezialisten. Denn es gab immer wieder Berichte, wonach im Ausland Wanderfalken von Taubenzüchtern vergiftet wurden, weil die Greifvögel ab und zu eine Zuchttau­be schlugen. Dass dies auch in der Schweiz geschieht, schien lange Zeit unmöglich. Weil nun aber ein Ver­giftungsfall dokumentiert war, bil­dete der SVS eine Arbeitsgruppe, die zu recherchieren begann. Damals war der Gruppe noch nicht bekannt, dass bei der Kantonspolizei Zürich ein Dienst besteht, der genau solche Ermittlungen durchführt. 

In einer ersten Phase suchte die Gruppe nach weiteren Vergiftungsfällen. Dabei fand sie heraus, dass ab etwa 2009 an verschiedenen Orten der Schweiz Brutplätze des Wanderfalken verwaist blieben, vor allem in der Nähe von Siedlungen oder in Städten. Somit kam der Verdacht auf, dass hier illegale Aktivitäten im Gang sind, die den Wanderfalkenbestand massiv schädigen können. 

Obwohl es sehr schwierig ist, tote Wanderfalken zu finden, wenn sie nicht gerade vor laufender Kamera sterben, fand die Gruppe immer mehr Hinweise auf Vergiftungen. So wurden in Zürich bereits 2009 zwei tote Wanderfalken auf dem Dach eines Hochhauses gefunden, beide mit einer Taube in den Fängen. An diesem Ort hatte der SVS/BirdLife Schweiz bereits in den 1990er-Jahren einen Wanderfalken-Nistkasten angebracht, der aber nie besetzt war. Weitere tote Falken wurden bei einem Rupfplatz an einem Hochkamin in Zürich entdeckt. 

Filmstill1
1 Das Männchen landet mit einem erbeuteten Kleinvogel auf der Plattform.
Filmstill2
2 Wenig später kommt das Weibchen mit einer Taube an.
Filmstill3
3 Es rupft die Taube und kommt mit dem Gift in Kontakt.
Filmstill6
4 Es schwankt und kippt um, während die Jungvögel nach draussen kommen.
Filmstill7
5 Zitternd liegt das Weibchen da.
Filmstill9
6 Einer der Jungvögel schaut nach, was los ist.
Filmstill11
7 Kurz darauf fliegt das Männchen heran und bleibt etwa eine Minute beim Weibchen.
Filmstill12
8 Das Männchen steht über dem sterbenden Weibchen und verschwindet nachher im Kasten.
Filmstill13
9 Das Weibchen ist tot. Die Jungen werden später in die Auffangstation Berg am Irchel gebracht.
Am 9. Mai 2011 nimmt die Webcam am Kamin der KVA Josefstrasse in Zürich auf, wie das Weibchen verendet.


Kamikaze-Tauben


Später stiess die Wanderfalkengruppe auf einen Blog von Taubenzüchtern, in welchem Grauenhaftes zu lesen war. Serbische Taubenzüchter, die in der Schweiz wohnen, berichteten in den Einträgen, wie sie in einer Gruppe von Züchtern Gift verteilten, um damit sogenannte «Kamikaze-Tauben» zu präparieren. Diese werden dann in der Nähe einer Wanderfalken-Warte oder eines Horstes fliegen gelassen. Beim eingesetzten Nervengift wirken bereits kleinste Mengen tödlich. Einer der Blog­einträge lautet wie folgt: «11. April 2009: Die ersten Kamikazen sind geflogen und haben offensichtlich einen Falken zu Boden gebracht. 12. April 2009: Zweiter Flug eines Weibchens und wieder jagt sie. Morgen wieder Kamikazen und Krieg bis zur Ausrottung.»

Die Wanderfalken-Gruppe war geschockt. Gleichzeitig wurde ein Fall bei Bregenz in Vorarlberg bekannt: Im Mai 2012 wurde ein Taubenzüchter angeklagt, Tierquälerei begangen zu haben, indem er Tauben mit Gift präpariert hatte, womit er fast den kompletten Wanderfalkenbestand des Gebiets ausgerottet hatte. Ein Verdacht hatte seit einiger Zeit bestanden. Als die Polizei bei einer Hausdurchsuchung das Gift fand, war der Züchter überführt. 

Nun stiess die Gruppe auf immer mehr Fälle: In Kassel 2011 wie im Fall Zürich mit einem Pflanzenschutzgift, in Freudenstadt (Baden-Württemberg) 2014 mit einem tödlichen Schlafmittel und im Siegerland (Nordrhein-Westfalen) mit einem Insektizid. Nun galt es, ein Anklage­dossier zusammenzustellen. Dabei halfen dem SVS und Grün Stadt Zürich die Juristen der Stiftung «Tier im Recht». Je eine Schrift wurde den Staatsanwaltschaften der Kantone St. Gallen und Zürich eingereicht, da in beiden Kantonen Verdacht auf Vergiftungen bestand. Das Dossier nennt über ein halbes Dutzend mögliche Straftatbestände des Tierschutz-, Jagd-, Umweltschutz-, Chemikalien- und Tiereinfuhrrechts.

Das vorsätzliche Vergiften von streng geschützten Wanderfalken ist ein Offizialdelikt, ebenso der Missbrauch einer lebenden, mit Gift präparierten Taube als Köder. Die Behörden müssen in solchen Fällen von sich aus Ermittlungen aufnehmen. Der SVS/BirdLife Schweiz war deshalb sehr erstaunt, zu erfahren, dass sich die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich weigerte, aktiv zu werden, da es keinen Hinweis auf eine konkrete Täterschaft gebe. 

WF Strassentaube MK4 12878

Flugtippler-Tauben werden speziell für lange Flüge gezüchtet. Die Taube, die am längsten in der Luft bleibt, gewinnt. © Mathias Schäf

Ermittlungen der Polizei


Dank einer Rekursschrift klappte es später doch noch: Die Staats­anwaltschaft leitete Ermittlungen ein und beauftragte damit den Dienst Tier/Umwelt der Kantonspolizei. Ermittlungen liefen auch im Kanton St. Gallen, wo die Stiftung «Tier im Recht» Anzeige erstattet hatte. In der Zwischenzeit wurde ein weiterer Vergiftungsfall bekannt: Am 4. März 2014 fing ein junges Wanderfalkenpaar an einem Hochkamin in Zürich eine seiner ersten Tauben. Am gleichen Tag lag das Männchen tot im Nistkasten. Untersuchungen ergaben, dass es vergiftet wurde. 

Während die Ermittlungen liefen, stellte die Wanderfalkengruppe weitere Überlegungen an. Steckten hinter den Vergiftungen wirklich Taubenzüchter? Viele Taubenzüchter sind Naturfreunde, andere sind sehr schlecht auf Wanderfalke und Habicht zu sprechen. Bis aber jemand zu illegalen Vergiftungen greift, müssen grosse Emotionen im Spiel sein. Die Wut dürfte dann am grössten sein, wenn die einzelne Taube sehr wertvoll ist und wenn der Taubenhalter nur eine geringe Zahl von Tauben fliegen lässt. 

Recherchen ergaben, dass dies weniger bei Brieftaubenzüchtern der Fall ist als viel eher bei den Haltern von Rassetauben und Flugtipplern. Letztere fliegen nicht von einem Ort zum anderen, sondern sind auf Langzeitflüge von bis zu 18 oder sogar 22 Stunden trainiert. Es gibt eine rege Wettszene in diesem Bereich. 

Der Zufall wollte es, dass ein Mitglied der Wanderfalkengruppe nicht einmal hundert Meter vom Ort des neusten Vergiftungsfalls eine ganze Reihe von Taubenschlägen entdeckte, die mit Flugtipplern bestückt sind. Das sind natürlich alles nur Hinweise, und es gilt die Unschuldsvermutung. Auch die Blogeinträge dürften als Beweise wohl nicht reichen.

Beweise genügen nicht


Was ergibt sich nun aus all diesen Hinweisen und Verdachtsmomenten? In jedem normalen Krimi wird am Ende der Täter eruiert und der gerechten Bestrafung zugeführt. In unserem Fall scheint es nicht so weit zu kommen: Im Juli 2014 teilte die Staatsanwaltschaft St. Gallen mit, das Verfahren sei eingestellt worden. Der gleiche Bescheid kam im Dezember 2014 von der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Anscheinend war die Polizei trotz umfangreichen Ermittlungen und dringendem Tatverdacht bei mehreren Personen nicht mit hieb- und stichfesten Beweisen fündig geworden. 

Für den SVS/BirdLife Schweiz und die anderen Organisationen stand die Bestrafung der Täter nicht im Vordergrund. Vielmehr muss das grausame Vergiften von Wanderfalken sofort aufhören. Aufgrund der Ermittlungen der Polizei, allenfalls sogar mit Hausdurchsuchungen, wissen die mutmasslichen Täter nun, dass sie im Fokus stehen. Überführte Täter müssten mit hohen Geld- und Gefängnisstrafen rechnen. Deshalb hat sich der SVS/BirdLife Schweiz nach längerer Geheimhaltung nun dazu entschlossen, die Fälle zu veröffentlichen.   

Verdachtsfälle sofort melden!


Der SVS/BirdLife Schweiz ruft alle Natur- und Vogelschützerinnen und -schützer auf, wachsam zu sein und Vorfälle oder einen Verdacht sofort der Polizei unter Tel. 117 wie auch dem SVS zu melden. Besondere Aufmerksamkeit ist nötig, wenn langjährige Brutplätze plötzlich verwaist sind. Tote Wanderfalken und Tauben sollten bis zum Eintreffen der Polizei nicht berührt werden. Wenn sie weggeräumt werden müssen, kann man die Vögel ohne Berührung in einen sauberen Plastiksack legen. Dies einerseits zur Spuren­sicherung, aber auch deshalb, weil das Nervengift für Menschen, insbesondere für Kinder, lebensgefährlich sein kann.

Natürlich dürfen jetzt nicht alle Taubenzüchter unter einen Generalverdacht gestellt werden. Der Schweizerische Rassetaubenzucht-Verband (SRTV) betont in seinen Richtlinien, dass bei der Taubenzucht mit Verlusten durch Greifvögel gerechnet werden müsse. Erfahrene Züchter weisen auf Schutzmassnahmen an den Schlägen und beim Freiflug hin. Die organisierten Taubenzüchter tragen aber auch eine wichtige Verantwortung, in ihrer Kommunikation Tötungen von Greifvögeln kategorisch auszuschliessen. 

Der SVS/BirdLife Schweiz hofft, dass diejenigen, die für die Gräuel­taten verantwortlich sind, Vernunft annehmen und ab sofort auf illegale Aktionen verzichten. Die Polizei und die Wanderfalkengruppe verfolgen weiterhin sehr genau, was läuft. 

 

Werner Müller ist Geschäfts­führer des SVS und koordiniert die Wanderfalkengruppe.

 

Tod am Hochkamin: Die ganze Bildsequenz der Webcam finden Sie auf dem SVS-Youtube-Kanal: www.youtube.com/user/SchweizerVogelschutz

Jetzt Ornis abonnieren und weiterlesen!

Ornis ist die Zeitschrift über Vögel, Natur und Naturschutz. Entdecken Sie 6-mal im Jahr wunderbar bebilderte Berichte, Reportagen aus dem In- und Ausland, Portfolios und vieles mehr!

Haben Sie ein Abo? Melden Sie sich an (Link ganz oben) und lesen Sie innert Sekunden weiter.
 

Jetzt Ornis abonnieren und weiterlesen!