Regenwälder sichern

Forests of Hope. Für die Biodiversität der Erde ist der Schutz der Regenwälder von grösster Bedeutung. BirdLife International und seine Partner, darunter der SVS/BirdLife Schweiz, spielen dabei eine wichtige Rolle. Mit ihren Schutzprojekten unter dem Programm «Forests of Hope» zeigen sie beispielhaft, wie Regenwaldschutz funktionieren kann. Das neuste Projekt ist jenes des Tsitongambarika-Regenwaldes auf Madagaskar. Mit Ihrer Unterstützung will der SVS/BirdLife Schweiz diesen Herbst dem lokalen BirdLife-Partner Asity helfen, ein grosses Regenwaldgebiet zu sichern.


Der 605 Quadratkilometer grosse Tsitongambarika-Regenwald im Südosten von Madagaskar ist von immenser Bedeutung für die Biodiversität: Die Vielfalt der hier lebenden endemischen Vögel und Lemuren ist einzigartig. Für die Bevölkerung der Region von Anosy ist der Wald zudem als Wasserreservoir überlebenswichtig. Doch der Tsitongambarika-Regenwald ist durch illegalen Holzschlag bedroht. Jetzt will der Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz Asity, den BirdLife-Partner Madagaskars, dabei unterstützen, den Schutz des Tsitongambarika-Regenwaldes entscheidend voranzubringen. 

Regenwaldschutz hat Tradition


Dank seiner Einbettung in die weltweite BirdLife-Partnerschaft kann der SVS/BirdLife Schweiz auch ausserhalb der Landesgrenzen wirken. Der Schutz der Regenwälder ist dabei schon fast zur Tradition geworden. Der SVS gehörte zu den Ersten, die den Schutz des Regenwaldes von San Rafael in Paraguay unterstützten. So konnte die von Schweizern gegründete Stiftung Pro Corsara das 730 Quadratkilometer grosse Waldgebiet überwachen und Kontroll- und Schutzmassnahmen fördern. Guyra Paraguay, der BirdLife-Partner des Landes, kaufte sogar über 40 Quadratkilometer Wald in San Rafael.

Auch beim Schutz des Harapan Rainforests auf Sumatra in Indonesien war der SVS/BirdLife Schweiz ein wichtiger Partner. Über mehrere Etappen konnten hier mehr als 1000 Quadratkilometer des besonders bedrohten Tieflandregenwaldes gesichert werden (siehe Seiten 12 bis 15). Mit der SVS-Herbstaktion 2006 kamen über 200 000 Franken zusammen, mit denen die BirdLife-Partner Burung Indonesia und RSPB sowie BirdLife International die Holzkonzession im Gebiet übernehmen konnten. Das war der Start für ein grosses Schutz- und Renaturierungsprojekt, das seither vielfach kopiert wurde. 

Das dritte Projekt, das der SVS/BirdLife Schweiz nun mit der Herbstaktion 2012 unterstützen möchte, ist jenes des Tsitongambarika-Regenwaldes in Madagaskar. Seit sechs Jahren testet Asity Madagascar in verschiedenen Regionen des Landes ein innovatives Vorgehen. Als besonders Erfolg versprechend erweist sich der Einbezug der lokalen Bevölkerung. Sie soll für den Schutz des Waldes gewonnen werden, indem sich die Menschen der Bedeutung des Waldes bewusst werden. Er dient ihnen nämlich nicht nur als Einkommensquelle für kleinflächig gesammelte Produkte, sondern auch für ihr Wohlergehen insgesamt. Asity hilft auch mit, in der Region zum Beispiel Schulen oder die Wasserversorgung zu fördern. Im Gegenzug überwachen die Bewohnerinnen und Bewohner den Schutz des Waldes unter Begleitung und Kontrolle durch Asity. Zusammen mit dem Forstdienst, den regionalen Regierungsstellen und der Polizei gehen sie gegen den illegalen Holzschlag vor. 

Forests Madagascar Sm 2011

Der Tsitongambarika-Regenwald liegt im Südosten der Insel Madagaskar (braun eingezeichnet). © Central Intelligence Agency


Der Tsitongambarika-Wald ist vorläufig geschützt. Da die Regierung lange untätig war, hat Asity jetzt das Management übernommen. Die Unterstützung durch die diesjährige SVS-Herbstaktion soll den BirdLife-Partner in die Lage versetzen, den Schutz effektiv umzusetzen und die Behörden dazu zu bringen, die Erhaltung des Waldes langfristig zu sichern. 100 000 Franken möchte der SVS an das Projekt beisteuern und damit einen wichtigen Anfang machen. Ein Landkauf ist in diesem Fall nicht nötig. Für Asity gilt es viel mehr, mit zahlreichen konkreten Schutz- und Entwicklungsmassnahmen nachzuweisen, dass die Sicherung des Tsitongambarika-Regenwaldes möglich ist und dass dies der Bevölkerung Vorteile bringt. Wenn dieser Beweis erbracht ist, werden auch die langfristig benötigten Mittel durch die grossen Geldgeber aufgebracht. Das war in Harapan auf Sumatra genauso: Der SVS/BirdLife Schweiz und die anderen Partner mussten die ersten grossen Schritte tun. Jetzt kommen Regierungs- und Entwicklungsgelder zum Einsatz. So unterstützt die deutsche Bundesregierung den Harapan Rainforest in den nächsten Jahren mit 10 Millionen Euro. Ohne den Erst-Einsatz von BirdLife und die Hilfe aus der Schweiz wäre es nie dazu gekommen. 

Immenser Endemismus dank Isolation


Der Tsitongambarika-Regenwald erstreckt sich über ein vielfältiges Gebiet mit Hügeln. Speziell ist, dass hier Regenwald des Tieflandes unterhalb von 800 m ü.M. geschützt werden kann, der besonders bedroht ist. Gegen 600 Pflanzenarten sind bisher nachgewiesen; die Spezialisten gehen davon aus, dass doppelt so viele Arten vorkommen. Bei den Vögeln sind bisher 97 Arten festgestellt worden, darunter seltene Arten des Tiefland-Regenwaldes wie die Fanovana-Newtonie (Newtonia fanovanae) oder die mystische, erst kürzlich wieder entdeckte Male­gasseneule (Tyto soumagnei).

Forests Scaly Ground Roller 98
© Pete Morris/BirdQuest
Forests Figurebi1 Tyto Soumagnei Raveloson
© Bruno Raveloson
Forests Caprimlgus Enarratus Ravoahangy
© Andriamandranto Ravoahangy, Asity Madagascar
Die Vogelwelt im Tsitongambarika-Regenwald ist einzigartig (von links nach rechts): Schuppenerdracke (Geobiastes squamiger), Malegassen­eule (Tyto soumagnei) und Halsband-Nachtschwalbe (Caprimulgus enarratus) sind nur 3 der 97 bislang nachgewiesenen Vogelarten.


Erstaunlich ist die hohe Artenzahl der anderen Tiergruppen im Wald: 57 Amphibien- und nicht weniger als 70 Reptilienarten sind nachgewiesen. Bei den Säugetieren konzentrierte sich die Kartierung bisher auf die Lemuren, 7 Arten sind bereits nachgewiesen. Von besonderer Bedeutung sind die Vorkommen des Halsbandmaki (Eulemur collaris) und des Östlichen Bambuslemurs (Hapalemur griseus). Die reine Artenzahl allein sagt allerdings wenig über den Wert des Gebietes aus. Gegen 60 Prozent der Arten in Tsitongambarika sind für Madagaskar endemisch, kommen also nur auf der Insel vor. Und noch wichtiger: 9 Vogelarten sind weltweit bedroht und 6 potenziell bedroht. 

Forests Avahi Meridionalis Ravoahangy2
© Andriamandranto Ravoahangy, Asity Madagascar
S6 10 Hapalemur
© Beat Wartmann
Lemuren kommen nur auf Madagaskar und den Komoren vor. Sieben Lemuren-Arten wurden bislang in Tsitongambarika nachgewiesen, darunter der Südliche Wollmaki (Avahi meridionalis, links) und der Östliche Bambuslemur (Hapalemur griseus, rechts).


Um die Artenvielfalt und den hohen Grad an Endemismus zu verstehen, müssen wir die erdgeschichtliche Entwicklung Madagaskars anschauen. Die viertgrösste Insel der Erde umfasst 587 000 Quadratkilometer, das Land ist also etwa 15-mal so gross wie die Schweiz. Obwohl Madagaskar nur etwa 500 Kilometer vor der Ostküste Afrikas liegt, auf der Höhe von Mosambik, weist die Insel eine ganz eigenständige Biodiversität auf. Das kommt daher, dass sich Madagaskar vor 165 Millionen Jahren von Afrika abtrennte. Seither haben sich auf der Insel Tier- und Pflanzenfamilien entwickelt, die nur hier vorkommen. Unter den Tieren sind 90 Prozent der Reptilien und Amphibien und sämtliche Säugetiere wie die charakteristischen Lemuren (Halbaffen) endemisch. Und viele der Arten auf Madagaskar sind noch gar nicht beschrieben. Im letzten Jahrzehnt wurden im Land über 600 neue Arten entdeckt, darunter der Berthe-Mausmaki (Microcebus berthae), die kleinste bekannte Primatenart. 

Bei den Vögeln sind von den 256 nachgewiesenen Arten 65 Prozent endemisch. Fünf Vogelfamilien kommen nur auf Madagaskar vor: Stelzenrallen, Erdracken, Kurole, Jalas und Vangas. In vielen anderen Familien gibt es endemische Gattungen oder Arten. Übrigens hat sich auch ein Schweizer Ornithologe um die Erforschung der biologischen Vielfalt Madagaskars verdient gemacht: Der Ende Mai 2012 in Ruswil LU verstorbene Pater Otto Appert. Der Missionar war über ein Vierteljahrhundert auf der Insel tätig. Nebenbei untersuchte er die aktuelle und die in Versteinerungen dokumentierte biologische Vielfalt. Nach ihm wurden eine neue Vogelart, der Appertbülbül (Xanthomixis apperti), und eine neue Pflanzengattung, die Appertiella, benannt. Der Staat Madagaskar hat ihn für sein Wirken mit einem hohen Orden gewürdigt. 

S6 10 Chamaeleon

Das farbenfrohe Teppichchamäleon (Furcifer lateralis) kommt in verschiedenen Lebensräumen Madagaskars vor, so auch im Tsitongambarika-Regenwald. © Beat Wartmann


Während die Vogelwelt Madagaskars im Vergleich zu Ostafrika eine eher kleine Artenzahl aufweist, ist die Pflanzenwelt sehr vielfältig. Mehr als 12 000 Pflanzenarten kommen vor, gegen 80 Prozent davon sind endemisch. Darunter sind fast 1000 Orchideenarten. Während in Afrika auf dem Festland nicht einmal 60 Palmenarten zu finden sind, hat Madagaskar 170, von denen 165 nur hier vorkommen. 

Forests Photo646
Tambourissa religiosa mit ihrer bizarren Blüte ist nur auf Madagaskar heimisch. Die Art gehört zur Familie der Monimiengewächse (Monimiaceae) in der Ordnung der Lorbeerartigen (Laurales). © Andriamandranto Ravoahangy, Asity Madagascar
Forests Figure P1 Lowryanthus3
2006 wurde im Tsitongambarika-Regenwald eine neue endemische Gattung von Korbblütlern (Asteraceae) entdeckt, die «Lowryanthus» (unveröff.). © Porter P. Lowry

Grossflächige Rodungen gefährden die Vielfalt


Doch die einmalige Natur der Insel ist gefährdet. Für den landwirtschaftlichen Anbau, für die Gewinnung von wertvollem Holz und für die Holzkohle-Produktion wird der Regenwald grossflächig gerodet. «Tavy» heisst die landwirtschaftliche Produktionsmethode, bei der mit Roden und Brennen in mehreren Phasen Regenwälder zu Landwirtschaftsland oder Busch- und Grasflächen umgewandelt werden. An Abhängen entstehen so Erosionsflächen. Die langfristigen Folgen von Entwaldung und Erosion, gerade auch auf die Wasserversorgung, werden aufgrund der enormen Armut der Bevölkerung und des kurzfristigen Nutzens von «Tavy» für die Ernährung ausgeblendet. Für ihr Überleben sieht ein Teil der Bevölkerung keine andere Möglichkeit, als etwas Wald zu roden und die so gewonnene Fläche zu bebauen. Zudem benötigen die Menschen Holz zum Feuern, oft auch als Holzkohle. Die lokalen Entscheidungsträger realisieren aber je länger desto deutlicher, dass dies keine nachhaltige Praxis ist und längerfristig zu gänzlicher Entwaldung und Erosion führt. Die zunehmende Sensibilisierung ist vor allem auch der Arbeit von Asity zu verdanken. 

Eine grosse Gefahr für die Natur ist der intensive Holzschlag zur Gewinnung wertvoller Hölzer. Die Abholzung geschieht illegalerweise auch in geschützten Gebieten. Die politischen Wirren der letzten Jahre kamen diesem Umstand noch zugute. Die lokalen Entscheidungsträger begrüssen deshalb die Hilfe von Asity bei der Bekämpfung der illegalen Abholzung. Dank einer gemeinsamen Aktion der Polizei, der Vertreter der lokalen Bevölkerung, von Behörden und von Asity im April 2011 gelang es, mehrere Lastwagen mit illegal gefälltem Palisander zu beschlagnahmen. Um den Schlag gegen die Holzmafia zu ermöglichen, hatte die lokale Bevölkerung Foto- und Videomaterial beigesteuert. Die gemeinsam durchgeführte und überraschende Aktion, bei der 100 Baumstämme und 800 Bretter sichergestellt wurden, löste als ein erster Sieg über die Holzmafia ein grosses Echo aus.

Neben der Abholzung des Regenwaldes bedrohen auch eingeführte invasive Tier- und Pflanzenarten die heimische Flora und Fauna, oder die Arten werden durch Übernutzung dezimiert.

Die langfristigen Folgen von Entwaldung und Erosion werden wegen des kurzfristigen Nutzens für die Ernährung ausgeblendet. 


Natur und Bevölkerung profitieren


Als Antwort auf die Gefährdung ist nun ein Prozess im Gang, um den ganzen Tsitongambarika-Regenwald als Schutzgebiet zu sichern. Wichtig dabei ist, dass die Behörden dazu gebracht werden, die Schutzbestimmungen umzusetzen. Doch das reicht erfahrungsgemäss nicht aus. Asity baut daher auf den Einbezug der lokalen Bevölkerung, denn ohne sie wird es schwierig, Schutzmassnahmen umzusetzen. Das von Asity bereits getestete System mit Anreizen, die zum Mitmachen motivieren, ist entscheidend. Es funktioniert folgendermassen: Die Bevölkerung beobachtet und überwacht den Schutz des Waldes, nachdem Asity sie entsprechend ausgebildet hat. Wenn das Ergebnis stimmt, wenn also der Regenwald gut geschützt ist und erhalten bleibt, unterstützt Asity im Gegenzug Vorhaben wie die Erweiterung von Schulen, die Reparatur von Brücken oder den Ausbau der Wasserversorgung. Überprüft wird das Ergebnis von unabhängiger Seite. Erst nach der Überprüfung werden die Vorhaben unterstützt.

Forests Asity Forest Visit

Eine Gruppe von Asity Madagascar auf einem Kontrollgang durch den Tsitongambarika-Regenwald. © Rivo Rabarisoa, Asity Madagascar

Die beiden Massnahmenpakete des Schutzprogramms – die kurz- und mittelfristige Umsetzung des Schutzes des Tsitongambarika-Regenwaldes und die Einflussnahme auf die Behörden für dessen langfristige Sicherung – bestehen je aus einer ganzen Reihe von konkreten Massnahmen. Sie reichen von einem Frühwarnsystem zum Schutz vor Abholzung bis zum Aufzeigen, dass sich der langfristige Schutz für alle lohnt, vor allem auch für die lokale Bevölkerung. Begleitet und überwacht wird das Projekt von den Fachleuten von BirdLife International, die die Professionalität des Projekts garantieren. 

In Madagaskar sind auch andere Schweizer Institutionen sehr aktiv. Der WWF fördert momentan vor allem Aufforstungsprojekte. Besonders bekannt ist auch das Engagement des Zoos Zürich für die Masoala-Halbinsel. Der Masoala Regenwald im Zoo Zürich mit seiner riesigen Halle sensibilisiert jährlich Hunderttausende Besucherinnen und Besucher für den Regenwaldschutz auf Madagaskar. Der Zoo hilft aber auch mit, einen Drittel der Kosten zu tragen, die nötig sind, um den Masoala Nationalpark langfristig zu erhalten. 

Auch der bisherige Leistungsausweis von Asity Madagascar ist beeindruckend. Doch der BirdLife-Partner und seine 170 Mitglieder brauchen Hilfe, um das Schutzprojekt umsetzen zu können. Der SVS-Vorstand hat nach eingehender Prüfung beschlossen, den Schutz des Tsitongambarika-Regenwaldes zu unterstützen und ihm die Herbstaktion 2012 zu widmen. Der Einsatz für den Tsitongambarika-Regenwald ist damit Teil eines langfristigen Engagements wichtiger Schweizer Institutionen für die Regenwälder Madagaskars. Zugleich ist das Schutzvorhaben ein weiterer Beitrag aus der Schweiz zum weltumspannenden Programm «Forests of Hope» von BirdLife International. Dieses hat seinen grossen Nutzen für die Biodiversität, aber auch für die Bevölkerung im Harapan Rainforest auf Sumatra, in San Rafael in Paraguay und vielen anderen Projekten bewiesen. 

Wir freuen uns, wenn auch Sie das Projekt Tsitongambarika-Regenwald mit Ihrer Spende unterstützen. Herzlichen Dank. 

 

Werner Müller ist Geschäftsführer des SVS/BirdLife Schweiz.

 

Jetzt Ornis abonnieren und weiterlesen!

Ornis ist die Zeitschrift über Vögel, Natur und Naturschutz. Entdecken Sie 6-mal im Jahr wunderbar bebilderte Berichte, Reportagen aus dem In- und Ausland, Portfolios und vieles mehr!

Haben Sie ein Abo? Melden Sie sich an (Link ganz oben) und lesen Sie innert Sekunden weiter.
 

Jetzt Ornis abonnieren und weiterlesen!