Nisthilfen mit Potenzial

SVS-Herbstaktion. Im Herbst gibt der SVS/BirdLife Schweiz eine Praxisbroschüre zu Nisthilfen für Tiere heraus. Sie bildet den Auftakt der neuen SVS-Kampagne «Biodiversität im Siedlungsraum: Natur vor der Haustür». Weshalb greift der SVS das traditionelle Thema Nisthilfen neu auf? 


Zurück zu den Wurzeln oder vorwärts in die Zukunft für mehr Biodiversität im Siedlungsraum? Das werden sich wohl einige fragen, wenn der SVS/BirdLife Schweiz diesen Herbst eine Praxishilfe zu Nisthilfen für Tiere herausgibt. Natur in Dorf und Stadt wird wieder zum grossen Thema. Nachdem der Bundesrat in seiner Strategie Biodiversität Schweiz dem Siedlungsraum eines von zehn Zielen gewidmet hat, bereiten mehrere Organisationen Aktionen zum Thema vor. Der SVS/BirdLife Schweiz startet 2015 seine neue Kampagne «Biodiversität im Siedlungsraum: Natur vor der Haustür». 

Nisthilfen sind gerade im Siedlungsraum ein einfaches, rasch wirksames Mittel, um bestimmten Arten zu helfen. Und sie ermöglichen inte­ressante Beobachtungen. Wir schauen der Kohlmeise zu, die in der Hecke aus einheimischen Sträuchern nach Raupen sucht und diese danach in den Nistkasten trägt. Oder der Roten Mauerbiene (Osmia bicornis), die ihre Eier in die Schilfröhrchen und Holzstücke im Wildbienenhaus legt und in der Blumenwiese Pollen sammelt. Mit Nisthilfen lassen sich Tiere beobachten und Zusammenhänge zeigen; so zum Beispiel, dass Nisthilfen nur wirksam sind, wenn auch der Lebensraum stimmt. 

Osmi Rufa AK

Die Rote Mauerbiene nimmt Nist­hilfen gerne an. Sie gehört im Siedlungsraum zu den häufigeren Wildbienen. © Albert Krebs


Heute sind Nisthilfen neben anderen Massnahmen ein normaler Teil der Artenförderung, wobei gleichzeitig fundiert analysiert wird, was die Arten brauchen, was ihnen in der intensiv genutzten Landschaft fehlt und wie sich die festgestellten Lücken schliessen lassen. Tiere brauchen ein ausreichendes Angebot an Nahrung, das sie gut erreichen können, und Nistmöglichkeiten. Naturschutz soll dazu beitragen, beide Anforderungen zu erfüllen. Für einen Teil der Arten können Nisthilfen mithelfen, Lücken im Lebenszyklus zu schliessen. Vielfach sind das Arten, die sich in Höhlen oder Nischen fortpflanzen. Nisthilfen sind in diesem Zusammenspiel von Fördermassnahmen also eines von vielen Mitteln des Naturschutzes. 

«Wirtschaftlicher Vogelschutz»


Das war nicht immer so. In den Anfängen des Vogelschutzes vor rund eineinhalb Jahrhunderten spielten Nisthilfen eine noch viel grössere Rolle. 1899 erschien von Hans Freiherr v. Berlepsch das Buch «Der gesamte Vogelschutz», in dem er die «v. Berlepsche Nisthöhle» vorstellte, die einer Spechthöhle nachempfunden war. Das Buch war ein grosser Erfolg: Es erschien in zwölf Auflagen und wurde in sechs Sprachen übersetzt. Der Altmeister des Vogel­schutzes propagierte zusätzlich die Winterfütterung von Vögeln mit unterschiedlichen Futterhäusern, betonte aber bereits damals, dass «winterlicher Abgang eine ganz normale Erscheinung» sei. Auch in anderer Hinsicht war v. Berlepsch sehr modern: Er setzte sich auch für «Vogelschutzgehölze für Freibrüter» ein – heute sagen wir diesen Gehölzen Hecken. 

Die Ideen von Hans Freiherr v. Berlepsch wurden rasch aufgenommen, und es entstand die Vorstellung des «wirtschaftlichen Vogelschutzes im Dienste des Pflanzenschutzes», so der Titel eines umfangreichen Buches aus Bayern. Gemeint war die Förderung der Vögel, damit diese schäd­liche Insekten vernichten. Vor allem das Anbringen von Meisenkästen stand dabei im Fokus.

Die Idee beeinflusste Generationen von Vogelschützern. In vielen Vogelschutzvereinen, die ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet wurden, standen Nistkästen im Vordergrund. Die Vereine waren die Vorläufer der heutigen lokalen Sektionen des SVS/BirdLife Schweiz. Viele von diesen betreuen neben ihrer umfassenden Naturschutzarbeit weiterhin Nistkästen für Höhlenbrüter. Immer wichtiger werden aber spezielle Nisthilfen für gefährdete Arten und solche, die auf der Liste des Programms «Artenförderung Vögel Schweiz» stehen.

Ohne Nisthilfe keine Schleiereule


Einige dieser Vogelarten könnten heute gar nicht mehr in grösserer Zahl bei uns brüten, wenn ihnen nicht Nisthilfen zur Verfügung stünden: Turmfalke und Schleiereule etwa hängen in der Schweiz praktisch vollständig vom Angebot an künstlichen Nisthilfen ab. Der Turmfalke brütet vereinzelt noch in Krähennestern oder Felsen, bei der Schleiereule gibt es praktisch keine Bruten mehr ausserhalb von Nistgelegenheiten an Gebäuden. Sie sind in eine gewisse Abhängigkeit vom Naturschutz geraten, sind also auf neudeutsch «conservation dependent» geworden. 

Gleiches gilt auch für Arten wie Flussseeschwalbe, Alpen- und Mauersegler, Wendehals, Mehlschwalbe und Gartenrotschwanz, wie Verena Keller von der Schweizerischen Vogelwarte und ihre Mitautoren in der «Roten Liste der Brutvögel der Schweiz» ausführen. Es sind alles Arten, die mit Nisthilfen gefördert werden und die zu einem grossen Teil davon abhängen. Die einzige Vogelart, die offiziell als «conservation dependent» geführt wird und nicht in Nisthilfen brütet, ist das Schwarzkehlchen, das vom Angebot an Buntbrachen abhängt. 

Heute werden unter den Vögeln rund zwei Dutzend Arten mit Nisthilfen gefördert. Dabei reicht das Spektrum vom normalen Nistkasten über das Schwalbenhaus bis zur ausgeklügelten Niströhre für den Steinkauz mit Schikane gegen ein Eindringen des Steinmarders, wie sie in den SVS-Artenförderungsprojekten in der Schweiz und im nahen Ausland zur Anwendung kommt. Aber auch die neuartigen Sandschüttungen für die Uferschwalben und ähnliche Bauten zählen dazu. 

Doch Vögel sind längst nicht die einzigen, die von Nisthilfen profitieren. Es gibt heute beinahe kein Gartencenter mehr, das nicht Wildbienenhotels anbietet. Bei allen Massnahmen soll aber eines nicht vergessen gehen: Nisthilfen sind kein Allerheilmittel, denn sie sind nur wirksam, wenn auch der Lebensraum stimmt. Nisthilfen sind oft schnell aufgehängt, die unabdingbare Verbesserung des Lebensraums jedoch ist meist viel aufwändiger. 

Bienenhotel AK

Nisthilfen für Wildbienen bieten Brutlöcher in unterschiedlichen Grössen. © Albert Krebs


Ganzheitlicher Ansatz


Diese Aspekte des modernen Umgangs mit Nisthilfen nimmt der SVS/BirdLife Schweiz als Auftakt der neuen Kampagne mit seiner Praxishilfe zu den Nisthilfen auf. Bereits 1967 hatte Ernst Zimmerli, der Doyen der Umweltbildung in der Schweiz, seine Broschüre «Wohnungsnot – auch bei Gefiederten» herausgegeben. Nun gilt es, die neuen Erkenntnisse aufzuarbeiten, attraktiv zu präsentieren und über die Vögel hinaus zu erweitern. 

Nisthilfen, richtig angewandt und in eine breit gefächerte Förderung der Biodiversität eingepasst, spielen eine wichtige Rolle im Naturschutz, gerade auch im Siedlungsraum. So geht der SVS/BirdLife Schweiz mit seiner neuen Praxishilfe also beide Wege: Zurück zu den Wurzeln der Vogelschutzbewegung vor mehr als einem Jahrhundert, aber gleichzeitig auch vorwärts in die Zukunft, mit einem ganzheitlichen Ansatz inklusive Verbesserung des Lebensraums, der spezifischen Artenförderung und der Motivation der Bevölkerung durch eigenes Handeln. 

 

Werner Müller ist Geschäfts­führer des SVS/BirdLife Schweiz.

 

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