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Von den ersten Text-Formulierungen der Initiative bis hin zum Abstimmungssonntag: Die BirdLife-Familie hat in all den Jahren sehr viel zur Biodiversitätsinitiative beigetragen. BirdLife steuerte über einen Viertel der Unterschriften bei, war in der parlamentarischen Phase bei den polit-strategischen Überlegungen führend und engagierte sich in den Kampagnenaktivitäten stark, speziell auch in ländlichen Gebieten. Ganz herzlichen Dank an dieser Stelle allen Beteiligten in den Kantonalverbänden, Landesorganisationen und Sektionen!
Schon als wir am 8. September 2020 die 107 000 Unterschriften einreichten, wussten wir: Die grosse Arbeit kommt erst, mit der parlamentarischen Phase und dann einer allfälligen Abstimmung. Der Bundesrat brachte nach Anlaufschwierigkeiten einen recht guten Gegenvorschlag in die Vernehmlassung und später ins Parlament. Der Nationalrat verbesserte den Gegenvorschlag. Doch die Landwirtschaftsfunktionäre wollten mit aller Gewalt einen Gegenvorschlag verhindern. Und so weigerte sich der Ständerat im Dezember 2023 mit einer knappen Mehrheit von sieben Stimmen, Massnahmen für die Biodiversität überhaupt nur zu diskutieren.
In der Zwischenzeit waren wir natürlich nicht untätig, und hatten bereits im Frühling 2023 eine Vorkampagne am Start. Damit warben schon weit über einem Jahr vor dem vermuteten Abstimmungstermin viele tausend Fahnen für die Biodiversität und die Initiative, viele von ihnen in der ländlichen Schweiz. Im Herbst 2023 ging der erste Flyer an Hunderttausende von Haushalten im ganzen Land. Auch hier waren viele BirdLife-Sektionen engagiert. Vielen Dank dafür!
Es ist sehr wichtig, dass die Naturschutzorganisationen sich auch in der Öffentlichkeit und in den Medien für die Biodiversität engagieren – auch wenn in den Vereinsstatuten die «politische Neutralität» des Vereins festgeschrieben wurde. Das heisst nämlich einfach, dass der Verein sich nicht an bestimmte Parteien oder politische Richtungen binden darf. Das Engagement für den Zweck des Vereins, den Natur- und Vogelschutz – auch das sachpolitische – ist absolut statutenkonform und sehr wichtig. Ein Appell an den Ständerat war mit über 62 000 Unterschriften ein grosser Erfolg, konnte aber die eingefahrenen Meinungen in der einstigen «Chambre de réflexion» nicht mehr ändern.
Die Hauptkampagne basierte auf einem eingehenden Test von Argumenten und Slogans. Von Anfang an war klar, dass nur eine sachliche und faktenbasierte Kampagne der Sache nützen kann. Denn das Volks- und vor allem Ständemehr zu erreichen, würde extrem schwierig werden. Umso wichtiger war es, die Bevölkerung mit der Abstimmungskampagne für die Bedeutung der Biodiversität als unsere Lebensgrundlage und für den grossen Handlungsbedarf in der Schweiz zu gewinnen. Die gemeinsame Kampagne von uns Befürworterinnen und Befürwortern setzte Plakate, Inserate, Beiträge in den Sozialen Medien, einen Streuwurf in über 3 Millionen Haushalte und unzählige Leserbriefe ein. Auch hier war die BirdLife-Familie voll engagiert.
Intensive Debatte
Noch nie wurde in der Schweiz so intensiv über die Biodiversität debattiert wie dieses Jahr. Viele Medien, welche die Biodiversität früher eher stiefmütterlich behandelt hatten, berichteten nun prominent darüber. Die wissenschaftlichen Fakten zum Biodiversitätsverlust in der Schweiz wurden breit diskutiert – mit einzelnen unverständlichen Ausnahmen wie der NZZ, die voll in die Kampagne der Gegnerinnen und Gegner einstimmte.
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Die Gegenkampagne war weder sachlich noch faktenbasiert. Sie heizte die Stimmung an mit Flächenzahlen, die gar nicht im Initiativtext standen, mit faktenfremden Behauptungen betreffend Nahrungsmittel-, Holz- und Energieproduktion, und mit Plakaten, die bei Annahme der Biodiversität den Weltuntergang prophezeiten. Es gelang uns Naturschützerinnen und -schützern jedoch, uns nicht provozieren zu lassen. Wir hielten unsere Strategie einer faktenbasierten und respektvollen Kampagne bis zum Schluss bei.
Bundesrat muss Versprechen halten
In der gfs-Umfrage kurz vor der Abstimmung sagten über 70 % der Stimmberechtigten, dass die Folgen der Zerstörung unserer Natur für Gesundheit, Wirtschaft und nachfolgende Generationen gravierend seien. Auch die Wissenschaft bestätigte den dringenden Handlungsbedarf für die Sicherung und Förderung unserer Lebensgrundlagen.
Am Abstimmungssonntag vom 22. September wurde klar, dass sich die Mehrheit der Stimmbevölkerung vom Bundesrat und den Gegnern hatte überzeugen lassen, dass der Schutz unserer Lebensgrundlagen mit der heutigen Gesetzgebung sichergestellt werden könne und dass es dazu keinen neuen Verfassungsartikel brauche.
Von allen Seiten wurde betont, dass dieses Ergebnis mit 63 % Ablehnung kein Nein gegen die Biodiversität ist. Umso wichtiger ist, dass der Bundesrat und die Gegner der Biodiversitätsinitiative ab sofort auf ihre Versprechen behaftet werden, die sie dem Stimmvolk vor der Abstimmung gemacht haben. Deshalb stellt BirdLife Schweiz hier die wichtigsten dieser Versprechen zusammen (siehe unten).
«Die Biodiversität ist zwar nach wie vor unter Druck, aber Massnahmen sind eingeleitet worden.»
Aus dem Abstimmungsbüchlein. Der Bundesrat gibt zu, dass es einen Handlungsbedarf gibt.
«Bis heute sind nicht alle Biodiversitätsziele erreicht. Darum plant der Bund beispielsweise aktuell einen zweiten Aktionsplan zur Biodiversität».
Aus dem Abstimmungsbüchlein. Der Bundesrat verspricht einen neuen Aktionsplan Biodiversität, mit dem alle Biodiversitätsziele erreicht werden können.
«Wir werden (...) einen 2. Aktionsplan formulieren. Auch wenn diese Initiative abgelehnt wird, werden wir Massnahmen treffen. U. a. gerade auch, um dem Insektensterben Einhalt zu gebieten. Also weitere Massnahmen treffen.»
Bundesrat Albert Rösti in der «Arena». Der Bundesrat verspricht zusätzliche Massnahmen, um z. B. dem Insektensterben Einhalt zu gebieten.
«Wir müssen glaube ich die Fakten aufzeigen, wie viel man eben macht für die Biodiversität, nämlich dass wir 600 Millionen in die Biodiversität investieren. Das müssen wir auch in Zukunft machen. (...) Und das werden wir auch in Zukunft machen.»
Bundesrat Albert Rösti in der «Arena». Der Bundesrat verspricht, auch in Zukunft 600 Mio. Franken pro Jahr in die Biodiversität zu investieren.
«Wir dürfen hier ebenfalls erwähnen, dass diese Kredite, über die wir sprechen, nicht Teil der Vorschläge – der Sparvorschläge – der Expertengruppe Gaillard sind... Die Kredite sind für den Bundesrat, das kann ich schon heute sagen, nicht bestritten.»
Bundesrat Albert Rösti im Nationalrat. Der Bundesrat verspricht, den Kredit Natur und Landschaft 2025-2028, Stand gemäss Beschluss des Parlaments vom September 2024, nicht zu kürzen.
«Ja, die biologische Vielfalt ist wichtig und es braucht Massnahmen zu ihrer Förderung. Es tut sich hier schon viel! Dank der Strategie Biodiversität des Bundes und dem dazugehörigen Aktionsplan sind die Grundlagen für die weitere Förderung bereits vorhanden.»
Website der Gegner. Die Gegner bestätigen, dass die Strategie Biodiversität und der Aktionsplan die Grundlagen der weiteren Förderung der Biodiversität sein müssen.
«Die Bauernfamilien tun also auf freiwilliger Basis viel mehr, als verlangt. Sie sind auch bereit, die Qualität der bestehenden Flächen zu optimieren.»
Website der Gegner. Die Gegner sagen zu, die Qualität der bestehenden Flächen zu fördern.
«Es gibt bereits gesetzliche Grundlagen, die es ermöglichen, diese Anstrengungen weiterzuführen und zu intensivieren.»
Gerhard Pfister, 13.6.2024. Der Mitte-Präsident bestätigt, dass es nicht allein um die Weiterführung der bisherigen Anstrengungen geht, sondern um deren Intensivierung.
«Wollen wir dem Volkswillen Rechnung tragen und weiterhin eine nahezu CO2-freie Stromproduktion anstreben, muss die Förderung von erneuerbaren Energien als nationales Interesse weiterhin Gültigkeit haben. Es braucht deshalb die Güterabwägung im Sinne einer umfassenden Umweltpolitik, die auch die Interessen der Gesellschaft und Wirtschaft miteinbezieht.»
Thierry Burkart, 13.6.2024. Der FDP-Präsident stimmt zu, dass es eine Güterabwägung braucht zwischen dem Schutz der Natur und den Interessen an der Förderung der erneuerbaren Energien.
«Ich bin der Meinung, das Verbandsbeschwerderecht hat heute ein gutes Niveau erreicht. Zu dem kann ich stehen, aber ich möchte es nicht weiter ausbauen.»
Markus Ritter in der Abstimmungsdebatte des Polit-
Forums Bern. Der Bauern-Präsident verspricht, das
Verbandsbeschwerderecht nicht zu schwächen.
Dr. Raffael Ayé ist der Geschäftsführer von BirdLife Schweiz.
Nach der Abstimmung: Was jetzt?