Im Grosshandel, in Gastrobetrieben und in Privathaushalten landen unglaubliche Mengen an Nahrungsmitteln im Abfall. © plainpicture/Stephen Shepherd/fotofinder.com
Zehn Jahre ist es her: 2008 haben das Bundesamt für Umwelt (Bafu) und das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) gemeinsam 13 Umweltziele für die Landwirtschaft publiziert. Diese Ziele konkretisieren die bestehenden rechtlichen Vorgaben. Nur: Bisher wurde kein einziges Ziel vollständig erreicht, wie der Bundesrat 2016 in einem Bericht einräumen musste.
Im Umweltbereich ist der Handlungsbedarf also sehr gross. Das zeigt auch ein «Fitness-Check» zur Agrarpolitik, der vor wenigen Tagen von BirdLife Schweiz, Greenpeace, Pro Natura und WWF veröffentlicht wurde (siehe Literaturangabe). Auch dieser Bericht macht klar: Kosmetische Anpassungen am jetzigen System werden nicht genügen, um die Umweltziele Landwirtschaft zu erreichen.
Die heutige Agrarpolitik setzt auf staatliche Fehlanreize, die sich sowohl auf die Ökologie als auch auf die wirtschaftliche Situation der Landwirte äusserst negativ auswirken. Denn ein Grossteil des Geldes bleibt gar nicht bei den Bäuerinnen und Bauern, sondern fliesst in die vor- und nachgelagerte Industrie.
Ökosysteme unter Druck
Viele der staatlichen Anreize sind so ausgelegt, dass sie einer naturverträglichen Landwirtschaft zuwiderlaufen. Ein Beispiel sind die Versorgungssicherheitsbeiträge im Umfang von jährlich 1,1 Milliarden Franken, die pauschal und ohne konkrete Leistungsbindung an die Landwirte gehen. Zusammen mit den heutigen Rahmenbedingungen führen sie zwar dazu, dass die Schweizer Landwirtschaft so viele Kalorien wie nie zuvor produziert. Doch diese Produktion basiert zum grossen Teil auf teuren, oftmals importierten Gütern: Futtermitteln, Maschinen, Treibstoff, Pestiziden und Dünger. Sie hat massive Umweltschäden und -kosten zur Folge. Der zu hohe Tierbestand verursacht gewaltige Stickstoffüberschüsse. Zusammen mit den hohen Ammoniakemissionen aus der Tierhaltung sind sie dafür verantwortlich, dass Wälder, Moore, Magerwiesen und letztlich die gesamte Landschaft überdüngt ist. Mit erheblichen negativen Folgen für die Biodiversität.
Die landwirtschaftliche Produktion in der Schweiz liegt in grossen Teilen weit über der Tragfähigkeit der Ökosysteme. Dabei hätten wir mit den rund vier Milliarden Franken an Steuergeldern, die jährlich für die Agrarpolitik eingesetzt werden, beste Voraussetzungen, eine nachhaltige Landwirtschaft aufzubauen. Die künftige Agrarpolitik muss deshalb vor allem eines bewirken: die Intensität der landwirtschaftlichen Produktion auf ein ökologisch tragbares Niveau bringen. In der Tierhaltung bedeutet dies eine Senkung der Futtermittelimporte gegen Null.
In Zukunft sollten die Ackerflächen vor allem der direkten Ernährung der Menschen dienen; das Grasland hingegen soll durch Wiederkäuer zu Milch und Fleisch veredelt werden. Dies bewirkt eine massive Reduktion der Schweine- und Geflügelbestände, die Stickstoffüberschüsse fallen weg.
Innovative Lösungen
Durch die zusätzliche konsequente Umsetzung von technischen Massnahmen lassen sich die Ammoniak-emissionen aus der Rindviehhaltung so stark reduzieren, dass die Grenzwerte für Stickstoffdepositionen aus der Luft eingehalten werden können. Im Ackerbau soll auf den Einsatz von Mineraldünger verzichtet werden. Gute Erträge lassen sich trotz weitgehendem Pestizidverzicht erzielen, wenn innovativ gewirtschaftet wird: mit einem regenerativen Ackerbau, der die Bodenfruchtbarkeit fördert, dem Anbau von robusten und standortangepassten Kulturen und Sorten, spezifischer Nützlingsförderung und neu entwickelten Mischkulturen. Dank des besseren Bodenaufbaus wird so auch mehr Kohlendioxid im Boden gespeichert.
Integraler Bestandteil einer solchen Agrarpolitik ist die ökologische Infrastruktur (öI). Gemäss der Biodiversitätsstrategie des Bundes soll diese dafür sorgen, dass für die langfristige Erhaltung der Arten und Lebensräume ausreichend Fläche zur Verfügung steht. Sie ist aus Kern- und Vernetzungsgebieten zusammengesetzt, die zusammen rund einen Drittel der Landesfläche ausmachen sollen. Damit liessen sich auch die Umweltziele in der Landwirtschaft erreichen.
Die Biodiversitätsförderung umfasst aber noch mehr, etwa die Schaffung von Strukturen und Biotopen auf der ganzen Fläche, die Förderung von regionsspezifischen Zielarten und den Verzicht auf Bodenverbesserungsmassnahmen an vernässten Standorten. Letzteres hilft zudem, den Ausstoss an Treibhausgasen zu reduzieren.
Mehr Freiheiten für die Landwirte
Für Landwirte wird die Produktion anspruchsvoller und verlangt ein umfassendes Wissen. Eine auf die Ziele einer standortgerechten Landwirtschaft ausgerichtete Bildung und Beratung wird deshalb die Basis einer solchen Agrarpolitik sein. Insgesamt werden die Landwirtinnen und Landwirte aber mehr unternehmerische Freiheit haben und von vielen administrativen Lasten befreit sein.
Mit einer nachhaltigen landwirtschaftlichen Produktion kann es zudem gelingen, das Vertrauen der Steuerzahlenden wiederherzustellen. Gleichzeitig wird sich die Qualität der Produkte deutlicher von jener im Ausland abheben. In Kombination mit einer im Vergleich zu heute deutlich kostengünstigeren Produktion wird die Wertschöpfung auf den Betrieben steigen.
Auch Handel und Konsum sind gefordert, eine nachhaltige Landwirtschaft zu stützen. Die Nahrungsmittelabfälle (Food Waste) müssen stark reduziert werden. Der Anteil tierischer Produkte in der Ernährung soll auf ein Mass sinken, das den Ernährungsempfehlungen entspricht. Es wird gemäss dem Modell auch in Zukunft nötig sein, Nahrungsmittel mit Importen zu ergänzen. Aber auch diese Produkte sollen die Kriterien einer nachhaltigen Landwirtschaft erfüllen.
Die nächste Agrarpolitik muss dafür sorgen, dass das Schweizer Landwirtschaftsgebiet auch wieder zum Lebensraum für die typischen Kulturlandarten wird. © Michael Gerber
Betriebe machen es schon heute vor
Dass eine Agrarpolitik im Einklang mit der Natur sehr gut umsetzbar ist, zeigen bereits heute zahlreiche innovative und vorausschauende landwirtschaftliche Betriebe in der Schweiz. Sie demonstrieren ganz konkret, wie die zukünftige Schweizer Landwirtschaft aussehen kann. Mit der Agrarpolitik 2022-2025 (AP22+) müssen deutliche Schritte in die beschriebene Richtung unternommen werden. In der nun laufenden Vernehmlassung wird in den Unterlagen zwar auf den Handlungsbedarf hingewiesen; die Vorschläge in Sachen Umsetzung gehen jedoch deutlich zu wenig weit.
BirdLife Schweiz fordert daher, den Verfassungsauftrag für eine standortangepasste und ressourcenschonende Landwirtschaft ernst zu nehmen und nachzubessern. So fehlt ein Konzept zur Reduktion der hohen Futtermittelimporte und der regional zu hohen Tierbestände, und die Zielsetzungen sind deutlich zu schwach. Die vorgeschlagenen Anpassungen beim Ökologischen Leistungsnachweis hingegen unterstützt BirdLife Schweiz generell.
Bei der Umsetzung muss allerdings ein mutiger Schritt in Richtung Standortanpassung erfolgen. Doch ein solcher Schritt ist momentan noch nicht zu erkennen: Die Beiträge für eine standortangepasste Landwirtschaft sind in der vorgeschlagenen Form nicht zielführend. Den Vorschlag, die Vernetzungsbeiträge von den übrigen Biodiversitätsbeiträgen loszulösen, lehnt BirdLife Schweiz klar ab.
Weiter schlägt der Bundesrat vor, die Ausrichtung der Beiträge für eine standortangepasste Landwirtschaft an das Vorliegen einer regionalen landwirtschaftlichen Strategie (RLS) zu knüpfen. BirdLife Schweiz unterstützt die Erarbeitung einer solchen Strategie nur, wenn damit aufgezeigt wird, wie und in welcher Frist die Umweltziele Landwirtschaft erreicht werden müssen.
Umweltziele müssen im Fokus stehen
Strukturverbesserungsbeiträge (Beiträge für Stallbauten, Bewirtschaftungswege, etc.) sind nur noch auszurichten, wenn Sie zur Erreichung der Umweltziele Landwirtschaft beitragen. Auch bei den Biodiversitätsbeiträgen unterstützen wir mit gewissen Anpassungen den Vorschlag des Bundesrates. Die bestehenden Beiträge sollen verbessert und mit einem Biodiversitätsförderkonzept ergänzt werden für jene Betriebe, die mehr machen wollen. Letzteres muss mit der RLS verknüpft und umgehend in Pilotprojekten geprüft werden, denn die Inhalte sind noch weitgehend unklar.
Die Vernehmlassungsfrist zur Botschaft der AP22+ dauert bis am 6. März 2019. BirdLife Schweiz setzt sich dafür ein, dass diese so ausgestaltet wird, dass die Umweltziele Landwirtschaft möglichst rasch erreicht werden.
Pascal König ist Projektleiter Landwirtschaft bei BirdLife Schweiz.
Mutig vorwärts!