Mehr Neeracherried!

Renaturierung der Saumbachwiesen. Am Ostrand des Neeracherrieds entstanden in den letzten acht Jahren vier Hektaren zusätzliche wertvolle Lebensräume. BirdLife Schweiz war an allen Aufwertungsetappen beteiligt, auch an der Planung der Besucherinfrastruktur mit dem neuen Beobachtungsturm.


«Die Saumbachwiesen waren früher farbenfrohe Feuchtwiesen mit vielen Orchideen», berichtete uns Walter Albrecht aus Neerach im Jahr 2003, als wir ihn für die Sonderausstellung «Erinnerungen ans Ried» interviewten. Das erwähnte Gebiet liegt am Ostrand des Neeracherrieds und beherbergte nach dem Zweiten Weltkrieg noch wunderbare Pfeifengraswiesen – artenreiche Lebensräume mit teils über 40 Pflanzenarten pro Quadratmeter. 

Doch mit der Pracht war es vorbei, als die Fläche gleich ausserhalb der Kernzone des Schutzgebiets Neeracherried in den 1960er- und 1970er-Jahren als Deponie für Bauschutt aus Grossbaustellen der Region genutzt wurde. Und dies, obwohl schon die Kernzone in der Schutzverordnung viel zu eng begrenzt war. Nun wurde auf vier Hektaren Fläche gleich daneben auch noch das wertvolle Feuchtgebiet drei bis fünf Meter hoch mit Aushubmaterial überschüttet.

In den folgenden Jahren diente die Fläche als Fettwiese oder Maisacker. Das Amt für Landschaft und Natur des Kantons Zürich übernahm sie 1985 und erwirkte, dass die Düngung eingestellt wurde. Seither mähten Landwirte die Wiesen zweimal jährlich.

Doch auch nach vielen Jahren extensiver Nutzung blieb die Artenvielfalt auf dieser Fläche bescheiden. Darum klärten BirdLife Schweiz und die Fachstelle Naturschutz Kanton Zürich ab, wie sich die Saumbachwiesen aufwerten liessen. Ein Abtrag der ganzen Aufschüttung hätte einen zweistelligen Millionenbetrag gekostet – also ging es darum, weniger aufwändige Massnahmen zu planen.

Eine erste Etappe realisierte  der Verein Hot Spots im Jahr 2013. Die Organisation zur Erhaltung und Aufwertung von Kulturlandschaften mit hoher Artenvielfalt liess unter Beteiligung von BirdLife Schweiz auf einer Fläche von 37 Aren den nährstoffreichen Oberboden abtragen und legte zwei flache Teiche an. Weil das Material der Aufschüttung in diesem Bereich ziemlich tonig war, blieben die Teiche dicht und trockneten wie geplant erst in den Sommermonaten praktisch aus. Rasch siedelte sich der Laubfrosch an. Mehrere Libellenarten konnten beobachtet werden, seltene Pflanzen wie der Knoblauch-Gamander (Teucrium scordium) gediehen.

SBW Saumbachwiesen Etappe2019

So präsentierten sich die Saumbachwiesen anfangs Mai 2022; sie entwickeln sich seit der Aufwertung 2019 erfreulich. © Stefan Heller

Jubiläumsgeschenk mit Wirkung

Durch den Erfolg dieser ersten Etappe ermutigt, plante BirdLife Schweiz zusammen mit der Fachstelle Naturschutz eine weitere Etappe. Zum 20-Jahre-Jubiläum des BirdLife-Naturzentrums Neeracherried wertete BirdLife Schweiz im Jahr 2019 etwas mehr als eine Hektare auf. Es entstanden fünf zusätzliche, unterschiedlich tiefe Flachteiche, die von wechselfeuchten Flächen umgeben sind.

Anschliessend klärte die Fachstelle Naturschutz ab, ob sich auch die restlichen drei Hektaren Fläche der Aufschüttung aufwerten liessen. Die Verantwortlichen entschieden, im niedrigeren Teil der Aufschüttung eine grosse Feuchtmulde anzulegen. Der fast fünf Meter überschüttete nördliche Teil sollte abhumusiert werden, damit sich dort wieder eine Magerwiese entwickeln kann. Das Projekt wurde massgeblich vom Bundesamt für Umwelt unterstützt und konnte ab Herbst 2020 umgesetzt werden.

Herzstück dieses Projekts ist die über 200 m lange und bis zu 50 m breite Feuchtmulde. Deren Wasserstand kann reguliert werden, sodass im Sommer – wie bei einem natürlich schwankenden See – Stück für Stück der Seegrund zutage tritt. Davon profitieren einerseits seltene schlammbewohnende Pflanzenarten wie der Strahlende Zweizahn (Bidens radiata), anderseits rastende Zugvögel wie der Grünschenkel, die im Schlick nach Würmern und Insektenlarven suchen.

Die Bauarbeiten begannen im September 2020 und dauerten bis Dezember 2021. Von den rund 20 000 m3 Aushubmaterial, die für die Schaffung der Mulde abgeführt wurden, waren rund ein Viertel stark belastet, sodass sie speziell behandelt werden mussten. Dies zog entsprechende Kosten nach sich. Die gute Nachricht: Es konnte eine grosse Menge problematischen Materials, das vor über einem halben Jahrhundert im Ried deponiert worden war, wieder aus der Moorlandschaft entfernt werden.

SBW Gruenschenkel 026 MG
SBW Oph Api 013
Grünschenkel und Bienen-Ragwurz profitieren von den Aufwertungen. © Michael Gerber, Beat Wartmann

Erfreuliche Entwicklungen

All die Aufwertungsarbeiten in den Jahren 2013 bis 2022 dienten einem Ziel: die Biodiversität des national bedeutenden Flachmoors Neeracherried zu erhöhen und die bestehenden wertvollen Feuchtlebensräume durch weitere Flächen zu ergänzen. Dabei konnten BirdLife Schweiz und die Fachstelle Naturschutz bereits einige erfreuliche Entwicklungen beobachten: In den schon etwas eingewachsenen Flächen der ersten beiden Etappen wurden die seltene Mooshummel (Bombus muscorum) sowie ein schöner Bestand der Bienen-Ragwurz (Ophrys apifera) festgestellt. Wie erwartet stellte sich der Flussregenpfeifer ein und überraschte in den Jahren 2021 und 2022 bereits mit Bruten. 

Ein wichtiger Teil des Projekts sind die Massnahmen für die Bevölkerung. Zusätzlich zum 2017 errichteten Beobachtungsturm beim Parkplatz liess die Fachstelle Naturschutz im Winter 2021/2022 zwei Beobachtungsnischen und einen grossen Beobachtungsturm erstellen, von dem aus die ganze Renaturierungsfläche sowie ein grosser Teil des Flachmoors Neeracherried sehr gut einsehbar sind. Die Hecken am Rand der Renaturierungsflächen werden geschlossen, um Störungen zu minimieren; die neuen Besuchereinrichtungen ermöglichen es zu beobachten, ohne zu stören.

Am 9. April war es soweit: Suzanne Oberer, Präsidentin von BirdLife-Schweiz, weihte zusammen mit der Projektleiterin Beatrice Vögeli von der Fachstelle Naturschutz Kanton Zürich und dem Höremer Gemeindepräsidenten Roger Götz die grosse Renaturierung und den Beobachtungsturm ein. Zahlreiche Anwohnerinnen und Anwohner nahmen am Anlass teil.  

Auch wenn die Saumbachwiesen nicht mehr flächige Riedwiesen sind wie vor 60 Jahren – sie besitzen ein riesiges Potenzial, in der Moorlandschaft Neeracherried zu einem Arten-Hotspot zu werden.

Stefan Heller leitet das BirdLife-Naturzentrum Neeracherried.

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