Mehr Leben in die Zürcher Reben

100xZüriNatur. «Upupup» tönt es wiederholt und etwas monoton zwischen den Rebzeilen hervor. Kurz darauf lässt eine unverkennbare Federhaube keine Zweifel mehr offen: ein Wiedehopf! Unweit davon sonnt sich eine Zauneidechse auf einer Trockenmauer, bevor sie sich auf einen der zahlreichen Tagfalter stürzt, die sich an den bunten Mauerpflanzen laben. Utopie? Vorläufig. Mit dem Projekt «Biodiversität im Rebberg» setzt sich ZVS/BirdLife Zürich dafür ein, dass wir dieser Vision ein Stück näher kommen.


Ein gutes Glas Wein aus heimischer Produktion ist ein echter Genuss. Allzu oft stammen die edlen Tropfen aber aus ökologisch verarmten, eintönigen Rebkulturen. Typische Reben-Brutvögel wie Hänfling, Distelfink oder Zaunammer sind hier absolute Mangelware. Zudem haben die meisten dieser Arten in den letzten 20 Jahren im Kanton Zürich mit abnehmenden Bestandszahlen zu kämpfen. Die Bestände des Hänflings haben um rund zwei Drittel abgenommen, von der Zaunammer sind im besten Fall 12 Brutpaare übrig geblieben. Der Wiedehopf ist als Zürcher Brutvogel gar praktisch ganz verschwunden. 

Dabei hätten die rund 600 Hektaren Reben im Kanton Zürich ein riesiges Potenzial für Wärme liebende Tier- und Pflanzenarten. Mildes Klima, starke Sonneneinstrahlung sowie lockerer Wuchs und trockene Böschungen bieten Reptilien, Wildbienen, Schmetterlingen, Schnecken und auch Brutvögeln einzigartigen Lebensraum. 

Mehr Vielfalt im Terroir 


Glücklicherweise gilt heute nicht mehr die Maxime, jeden Rebberg im wahrsten Sinne bis auf den letzten Tropfen auszupressen. Saure Einheitsweine in rauen Mengen sind passé. Die meisten Winzer setzen heute auf Qualität statt Menge und müssen nicht mehr jeden Winkel mit Reben bepflanzen. Vielmehr versuchen sie, das typische der einzelnen Rebberge wie den Untergrund oder die Exposition in die Trauben und schliesslich in die Flasche zu bringen. 

Diese Abkehr von der reinen Ertragsmaximierung schafft Platz. Diesen können naturnahe Strukturen einnehmen, die neuen Lebensraum für Flora und Fauna schaffen. So ist es für manch einen Winzer vorstellbar, überaltete Rebstöcke nach dem Ausreissen nicht mehr vollständig zu ersetzen. Stattdessen zieren Trockenmauern, Dornhecken oder offene Bodenstellen die frei gewordenen Reihen. Diese Lebensräume sind in den meisten Rebbergen noch kaum anzutreffen. Ziel ist, mit diesen Trittsteinen die Monotonie der Rebhänge zu durchbrechen.

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Trockenmauern bieten nicht nur wärmebedürftigen Reptilien Sonnenplätze, sondern schaffen auch Nischen für spezialisierte Pflanzen. © quadra Gmbh


Manch ein Brutvogel braucht dichtes Gebüsch für den Nestbau, ein reiches Angebot an Wirbellosen und gut überblickbare Jagdgründe zur Nahrungssuche. Blindschleiche, Ringelnatter sowie Mauer- und Zauneidechse sind auf Strukturen angewiesen, die sich rasch erwärmen und gleichzeitig Schutz vor Beutegreifern bieten.

Mit Bagger und Fräse zum Natur-Netzwerk 


Mit dem Anlegen von entsprechenden Lebensräumen und einer angepassten Bewirtschaftung versucht ZVS/BirdLife Zürich zusammen mit den Bewirtschaftern verschiedene Vogel- und Reptilienarten zu fördern. Niedrige, dornenreiche Buschgruppen und Hecken bieten Verstecke für Nester von Rebbergvögeln. Mit dem Bau von Trockenmauern, Steinlinsen und unverfugten Treppen erhalten Reptilien wichtige Lebens­raumelemente. Dafür ist oft der Einsatz von Maschinen nötig. 

Neben der Begrünung des Rebbergs sind offene Bodenstellen ebenso wichtig. Sie werden durch Auffräsen oder Abschürfen des Bodens in den Rebzeilen oder auf Wendeplätzen geschaffen. Auf solchen unbewachsenen Flächen finden Vögel ihre Nahrung einfacher, für Schneckenarten der Trockenbiotope sind sie – auch in kleinsten Dimensionen – überlebenswichtig. In artenreichen Blumenflächen gedeihen Insekten und andere Kleintiere prächtig. Sie bilden die Nahrungsgrundlage für Eidechsen und Vögel und profitieren von einer Bewirtschaftung mit minimalem Einsatz von Dünger, Insektiziden und Herbiziden. Die Kombination von Bodenbegrünung, lückigem Boden und schonender Bewirtschaftung schafft beste Voraussetzungen für lebendige Weinberge.

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Nur noch sehr selten und lokal anzutreffen: die Zaun­ammer als eigentlicher Charaktervogel der Weinberge. Sie profitiert von Aufwertungen wie Hecken und Steinstrukturen, welche die gleichförmigen Rebkulturen unterbrechen. © Marcel Ruppen


Typische Weinbergpflanzen wie die Weinbergtulpe, einige Gelbstern-Arten, die Zaunrübe, die Osterluzei oder seltene Wildrosen-Arten können in den Rebberg eingebracht werden – spezialisierte Wildbienenarten werden es danken. Angrenzende wertvolle Flächen wie Magerstandorte, Waldränder, Pionierflächen, Hecken und Dorngebüsche sollen nach Möglichkeit ebenfalls aufgewertet werden. Diese Vernetzung mit dem Umland steigert die Wirkung der Massnahmen im eigentlichen Rebberg.

Die Aufwertungen werden von der Fachstelle Naturschutz des Kantons Zürich, den lokalen Natur- und Vogelschutzvereinen, dem Fonds Landschaft Schweiz, der Paul Schiller-Stiftung, der Dr. Bertold Suhner-Stiftung und den Rebberg-Gemeinden unterstützt. Daneben beteiligen sich die Bewirtschafter mit Eigenleistungen an den Aufwertungen.

Bouquet im Gaumen, Gesang im Ohr


Drei Pilotprojekte werden im Lauf dieses Jahres realisiert: In Höngg und in Freienstein kann ZVS/BirdLife Zürich unter Einbezug der lokalen Natur- und Vogelschutzvereine Rebberge aufwerten. In Dachsen hat der Naturschutzverein anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums ein eigenes Rebberg-Projekt lanciert. So unterschiedliche Bedingungen die drei Rebberge auch mitbringen – alle Bewirtschafter und Eigentümer sind motiviert, Önologie, Ökonomie und Ökologie zusammenzubringen.

Bis 2015 sollen über den ganzen Kanton verteilt neun weitere Projekte folgen. Wir hoffen, dass wir tatsächlich mehr Vielfalt in die Rebberge bringen. Der Weingenuss soll das Sinnliche mit dem Sinnvollen verbinden – Rebbergvögel gehören künftig nicht nur auf die Etiketten von edlen Weinen, sondern auch in die dazu gehörenden Rebberge! 

In diesem Sinn werden wir gern eines Tages einen Pinot Noir mit einem klingenden Vogelnamen aus dem Kanton Zürich kredenzen!

 

Mathias Villiger ist Projektleiter von 100xZüriNatur bei ZVS/BirdLife Zürich.

 

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