Jetzt die Krise abwenden!

Die Biodiversitätsinitiative ist für den Schutz der Natur in der Schweiz von grösster Bedeutung. Ornis zeigt auf, welche Vorteile sie bringen wird und welche Argumente der GegnerInnen schlicht erfunden sind.


Raffael Ayé

07.06.2024, Ornis 3/24

Bei der Abstimmung am 22. September über die Biodiversitätsinitiative geht es um nichts weniger als um die Frage, ob es in den nächsten Jahren gelingt, die Biodiversität der Schweiz zu sichern. Stillstand oder sogar weitere Zerstörung der Natur können keine Optionen sein. Es geht um unsere Lebensgrundlage.

Die schleichende Zerstörung der Natur in der Schweiz ist alarmierend. Ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz ist gefährdet, die Hälfte der natürlichen Lebensräume ebenso. Schon vor mehreren Jahren hat die internationale  Wirtschaftsorganisation OECD die Schweiz gerügt, weil unser Land viel zu wenig für die Biodiversität tut. Denn im Land, das sich bisher gerne als Musterknabe im Naturschutz sah, gehört der Anteil der gefährdeten Arten zu den höchsten aller Industrieländer (siehe Grafik).

Die Biodiversitätsinitiative will die Biodiversitätskrise abwenden. Sie sorgt dafür, dass Bund und Kantone Schutzgebiete bezeichnen und fachgerecht unterhalten, sanieren und erweitern. Auch müssen sie die für die Biodiversität erforderlichen Flächen in der nötigen Qualität langfristig sichern; Bund und Kantone sollen die erforderlichen finanziellen und personellen Mittel zur Verfügung stellen. Die Biodiversitätsinitiative will zudem, dass Naturwerte, Landschaften und das baukulturelle Erbe auch ausserhalb von Schutzgebieten geschont, also nicht ohne Notwendigkeit beeinträchtigt werden. Bund und Kantone sollen dafür sorgen, dass das, was unter rechtlichem Schutz steht, auch effektiv Schutz geniesst. Schutzobjekte von gesamtschweizerischer Bedeutung dürfen nicht zugunsten kantonaler Partikularinteressen geopfert werden können.

Initiative sichert Lebensgrundlagen


In der Schweiz wird zwar von vielen Akteuren schon einiges für die Natur gemacht. Das ist gut und wichtig. Doch es reicht bei Weitem nicht, sonst wären die Tier- und Pflanzenarten und ihre Lebensräume nicht so stark gefährdet. Bund und Kantone müssen nun klar verpflichtet werden, endlich mehr zu tun.

Mit der Annahme der Initiative kommt der neue Artikel 78a in die Bundesverfassung. Entsprechend der Rolle eines Verfassungstextes legt dieser die wichtigen übergeordneten Regeln fest, bestimmt aber die Umsetzung nicht in jedem Detail. So ist das Argument der Gegner eines «Flächenziels von 30 % Schutzgebieten» schlicht erfunden. Im Initiativtext steht gar nichts solches. Vielmehr wird es am Bundesrat, am Parlament und an den Kantonen sein, auf wissenschaftlicher Basis festzulegen, welches die erforderlichen Flächen sind.

Die Mär der Flächenforderung der Biodiversitätsinitiative ist nicht die einzige Unwahrheit der Gegner. Nachfolgend gehen wir auf die tatsächlichen Fortschritte ein, welche die Annahme der Biodiversitätsinitiative bringen wird.

 

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Anteil gefährdeter Arten gemäss Roter Liste, in Prozent. © BAFU

Biodiversitätsinitiative hilft gefährdeten Arten und Lebensräumen


In der Schweiz sind mehr Tier- und Pflanzenarten bedroht als in den Nachbarländern. Ein Drittel der untersuchten Arten der Schweiz ist gefährdet oder bereits ausgestorben. Die Hälfte der Lebensräume unseres Landes ist ebenfalls gefährdet. Es braucht daher dringend zusätzliche Massnahmen für die Natur, unsere Lebensgrundlage.

Die Tier-, Pilz- und Pflanzenarten stellen ganz bestimmte Ansprüche an ihre Lebensräume. So können zum Beispiel jene Arten, die im intensiv bewirtschafteten Agrarland kein Habitat mehr finden, nicht einfach in den Wald oder ins Hochgebirge ausweichen. Das ist eigentlich  selbstverständlich. Es ist deshalb Augenwischerei, wenn Initiativgegner Stein- und Felsflächen, Alpgebiete und Wälder einfach zusammenzählen und fast drei Viertel der Schweiz als Paradies für die Natur hinstellen.
Überdies werden beispielsweise auch die Alpweiden gebietsweise immer intensiver genutzt, und auch im Wald bestehen verschiedene Defizite, so etwa bezüglich alten Waldsta­dien und Totholz. Zum anderen braucht es nicht nur im Hochgebirge, sondern in allen Regionen der Schweiz genügend Raum für die Biodiversität – nur so kann die wissenschaftlich erwiesene massive Gefährdung der Arten und Lebensräume verringert werden.

Fazit: Es braucht in allen Gebieten des Landes mehr Biodiversität. Und das besonders dort, wo sie am stärksten gefährdet ist: in Feuchtgebieten, in und entlang der Gewässer, im Kulturland und im Siedlungsraum. Dafür sorgt die Biodiversitätsinitiative.

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© iStock

Biodiversitätsinitiative bringt Flächen, die Schutz und Nutzung kombinieren


Die Sicherung von Naturschutzflächen ist keineswegs neu. Sie erfolgte in der Schweiz zuerst durch private Naturschutzorganisationen, dann durch die Kantone. Ab den 1990er-Jahren sicherte der Bund zusammen mit den Kantonen kurz nacheinander erste Wasser- und Zugvogelreservate sowie Biotope von nationaler Bedeutung: wichtige Moore, Auen, Amphibien-Lebensräume und Trockenwiesen und -weiden. Doch seither stagniert die Bezeichnung von Schutzflächen: Es wurden weder nationale Biotope für weitere gefährdete Lebensräume festgelegt, noch hat man Instrumente für neuartige Schutz­flächen entwickelt.

Dies ganz im Gegensatz zum Rest Europas und insbesondere zu unseren Nachbarländern, die dank des Netzwerks «Natura 2000» schon viel erreicht haben (siehe Ornis 2/24). Auch das analoge «Smaragd»-Programm setzt die Schweiz praktisch nicht um. Diese Instrumente würden die Sicherung der Biodiversität über Managementpläne für eine angepasste Nutzung zusammen mit den Bewirtschaftenden erlauben. Wir kennen das in dieser Form in der Schweiz auf grösseren Flächen nicht.

Doch statt zusammen solche neuen Formen der Kombination von Schutz und Nutzung zu entwickeln, behaupten Gegnerinnen und Gegner der Biodiversitätsinitiative, diese wolle riesige Flächen als unantastbare Schutzgebiete unter eine «Käseglocke» stellen. Dieses Bild ist auch heute schon falsch: Die Schutzflächen der Schweiz werden bereits jetzt vielfältig genutzt. Nur der Nationalpark, die Hochmoore und die Naturwaldreservate werden gar nicht bewirtschaftet. Alle anderen Schutzflächen sind genutzt, sei es durch Streuenutzung oder mittels extensiver Beweidung für die naturnahe Fleischproduktion. Oft ist eine angepasste Nutzung zum Erreichen der Schutzziele sogar nötig. Ein Teil der Schutzgebiete – zum Beispiel der Wasser- und Zugvogelreservate – wird überdies intensiv landwirtschaftlich bewirtschaftet. Das Bild von unantastbaren Schutzgebieten, in denen man gar nichts mehr machen darf, hat mit der Realität nichts zu tun.

Die Biodiversitätsinitiative soll insbesondere mit neuen Flächen, die Schutz und angepasste Nutzung kombinieren, umgesetzt werden. Dass das geht, zeigte der vom Nationalrat beschlossene und von Bundesrat, Kantonen, Gemeinden und Teilen der Wirtschaft unterstützte Gegenvorschlag zur Initiative: Er hätte Biodiversitätsgebiete von nationaler Bedeutung eingeführt, mit dem klaren Auftrag, Schutz und Nutzung zu kombinieren. Wegen einer knappen Mehrheit von sieben Stimmen im Ständerat kam der Gegenvorschlag nicht zustande. Doch nach der Annahme der Biodiversitätsinitiative kann an solchen guten Ansätzen weitergearbeitet werden.

 

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In der vom Menschen geprägten Landschaft bilden die letzten Naturperlen kleine Inseln. Damit ihre Qualität erhalten bleibt, brauchen sie ausreichende Pflegemassnahmen. © LucynaKoch/iStock

Fachgerechter Unterhalt der Naturperlen dank der Initiative


Sie machen nur gerade 2,2 % der Fläche der Schweiz aus: die national bedeutenden Biotope, unsere Naturperlen. Doch nicht einmal sie sind für unsere Kinder und Enkelkinder wirksam gesichert. Aufgrund der fehlenden Mittel werden die Massnahmen zur Werterhaltung vernachlässigt. So verbuschen zum Beispiel viele nationale Moore oder haben zu wenig Wasser. Auch bei der Umsetzung der Schutzmassnahmen hapert es: Bei 75 % der Biotope ist die Umsetzung ungenügend.

Das liegt vor allem an den finanziellen und per­sonellen Mitteln, die der Bund und die Kantone einsetzen können. Hier wollte der Bundesrat mit seinem Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative ansetzen: Er sah eine Erhöhung der Finanzen für die  Sicherung der Biotope von nationaler Bedeutung um 43 Millionen Franken pro Jahr vor. Immerhin – auch wenn gemäss den Studien des Bundes eigentlich rund 280 Millionen Franken pro Jahr notwendig wären.

Die Gegner, die im Ständerat zur Ablehnung des Gegenvorschlags eine knappe Mehrheit mobilisieren konnten, erwähnen gerne, dass die bestehenden Gesetze genügen würden, um die Biodiversität zu sichern. Wie scheinheilig diese Aussage ist, zeigt sich bei all jenen, die nun argumentieren, die Initiative sei viel zu teuer. Bereits für die Umsetzung der Aufgaben gemäss bestehendem Gesetz sind die Mittel viel zu gering. Und im Februar hat der Bundesrat gar beschlossen, jegliche zusätzlichen Mittel für Natur und Landschaft zu streichen, und das für die nächsten vier Jahre. Im Finanzplan waren noch durchschnittlich zusätzliche 75 Mio. Franken pro Jahr vorgesehen. Damit wird das Versprechen, wenigstens das bestehende Gesetz richtig umzusetzen, gebrochen. Die Biotope darben weiter dahin.

Die Biodiversitätsinitiative verlangt von Bund und Kantonen, dass sie die erforderlichen Mittel einsetzen. Damit die Naturperlen nicht wegen zu wenig Mitteln weiteren Schaden nehmen.

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Schutzgebietsflächen in % der Flächen der europäischen Länder.

Biodiversitätsinitiative senkt das grosse Defizit der Schweiz an Schutzflächen


Wann hat die Schweiz zum letzten Mal ihre Fläche von Schutzgebieten vergrössert? Das war vor rund 15 Jahren mit der Sicherung der Trockenwiesen und -weiden. Diese machen zwar nur noch ein halbes Prozent der Landesfläche aus, beherbergen aber eine grosse Vielfalt. Die Schweiz weist heute gemäss den offiziellen Indikatoren des BAFU nur gerade 10,75 % der Landesfläche als Schutzgebiete aus und bildet mit Bosnien-Herzegowina und der Türkei das Schlusslicht Europas.

Entscheidend ist aber nicht der ausgewiesene Prozentsatz, sondern dass die erforderlichen Flächen in der nötigen Qualität gesichert werden. Einige Gegner behaupten, die Biodiversitätsinitiative verlange den Schutz von 30 % der Landesfläche. Im Initiativtext steht jedoch nichts davon. Nach der Annahme werden Bund und Kantone ermitteln, wie viele Flächen in den Landesgegenden für die Sicherung der Biodiversität benötigt werden.

Die Wissenschaft hat in mehreren Studien gezeigt, dass die Sicherung der biologischen Vielfalt auf rund einem Drittel der Fläche Vorrang haben sollte. Der Globale Biodiversitätsrahmen der Biodiversitätskonvention 2022 nennt 23 weltweite Ziele, darunter jenes von 30 % Schutzgebieten. Es ist wichtig, dass die Staatengemeinschaft solche Ziele formuliert. Sie sollen die Schweiz anspornen. Doch die Initiative nennt kein Prozentziel. Zudem schliesst die Errichtung eines Schutzgebiets keineswegs dessen Nutzung aus (siehe Seite 7).

Und dann gibt es noch jene, die sagen, dass die Schweiz das weltweite Ziel ja schon heute fast erreiche – in totaler Verkennung der Realität. Vor einem Jahr hat die Bundesverwaltung in einem Papier geschrieben, das Total der Schutzgebiete liege heute bei 23,4 Prozent und die Schweiz könne bis 2030 ohne Zusatzeffort 28 % erreichen – im krassen Widerspruch zum eigenen Indikator von 10,75 %. Man hat einfach alle Flächen mitgezählt, bei denen die Biodiversität in irgend einer Form eine Rolle spielt, die aber nicht als Schutzgebiete gelten können. Die Natur braucht keine Zahlentricks. Die Biodiversitätsinitiative sorgt dafür, dass Bund und Kantone die erforderlichen Flächen festlegen.

 

Biodiversitätsinitiative unterstützt Landwirtschaft


Die Biodiversität ist für die Landwirtschaft unabdingbar. Das betont auch der Bundesrat immer wieder: Zahlreiche wild­lebende Arten garantierten die Bestäubung der Kulturpflanzen. Die Biodiversität trage zudem zur Bodenbildung und Bodenfruchtbarkeit bei, indem sie die Nährstoffkreisläufe sichere und Schädlinge unter Kontrolle halte. Die Erhaltung der Biodiversität spiele eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung der langfristigen Versorgungssicherheit.

Viele Bauernfamilien haben das erkannt und fördern die Biodiversität. Die Landwirtschaft macht entsprechend schon einiges. Doch das reicht noch bei Weitem nicht – sonst wären nicht gerade die Tier- und Pflanzenarten des Kulturlandes besonders stark bedroht. Das Argument, bereits genügend zu tun, ist somit nicht stichhaltig. Insbesondere die ökologische Qualität und echte Vernetzung zum Beispiel der Biodiversitätsförderflächen ist noch ungenügend. Neue Schutzflächen kombinieren Schutz und Nutzung.

Ebenso wenig verfängt das Argument, dass wegen der Initiative zusätzliche Importe nötig seien. Die tatsächliche Gefahr für die Landwirtschaft ist die massive Abhängigkeit der Schweiz von importiertem Kraftfutter, um den überhöhten Tierbestand durchfüttern zu können. Um das zu lösen, sollte die genutzte Ackerfläche vorab für menschliche Ernährung eingesetzt werden. Laut Modellberechnungen der Forschungsanstalt Agroscope könnten damit die negative Umweltwirkung des Ernährungssystems um 50 % reduziert und der Selbstversorgungsgrad auf 80 % erhöht werden.

Erste Beispiele zeigen, dass Naturschutz und Landwirtschaft Hand in Hand gehen können. Das soll zum Standard werden. Die Biodiversitätsinitiative unterstützt die Landwirtschaft und führt nicht zu zusätzlichen Importen.

 

Biodiversitätsinitiative stärkt naturnahe Wälder


Die Wälder der Schweiz sind naturnäher als das Kulturland. Trotzdem gibt es noch einige Biodiversitätslücken: Es fehlt vor allem an den alten Waldstadien und an Totholz. Diese Defizite sind wissenschaftlich anerkannt. Und auch im Wald wird bereits einiges für die Biodiversität getan: Im Jahr 2000 haben die Kantone beschlossen, auf 10 % der Waldfläche Waldreservate einzurichten. Zudem gibt es das Programm des Bundes für die Biodiversität im Wald. Waldbesitzende und -bewirtschaftende werden für ihre Leistungen zugunsten der Biodiversität abgegolten. Mit der Biodiversitätsinitiative werden diese wichtigen Massnahmen gestärkt.

Tatsache ist, dass rund die Hälfte der Waldreservate als sogenannte Sonderwaldreservate oft speziell stark genutzt werden, um zum Beispiel lichte Wälder zu fördern. Sonderwaldreservate ermöglichen also Synergien zwischen Nutzung und Naturschutz. Grotesk ist die Aussage der Gegner der Initiative, der Wald als Rohstofflieferant würde in den Hintergrund gedrängt, und die Holzimporte würden steigen. In der Schweiz wachsen pro Jahr rund 11 Millionen Kubikmeter Holz heran. Ohne den Wald zu übernutzen und inklusive der Waldreservate könnte in der Schweiz ein Holzzuwachs von 7 bis 8 Millionen Kubikmetern genutzt werden. Doch wird davon nur etwas mehr als die Hälfte effektiv genutzt. Importiert werden 5,5 Millionen Kubikmeter Holz und holzbasierte Produkte, exportiert werden 4 Millionen.

Nach der Annahme der Biodiversitätsinitiative bleibt der Schweizer Wald wichtiger Rohstofflieferant. Mit ihrer Forderung für die erforderlichen Flächen und Mittel für die Biodiversität unterstützt die Initiative die Bestrebungen für möglichst naturnahe Schweizer Wälder. Das ist wichtig für die Anpassung an den Klimawandel.

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Von mehr Biodiversität im Siedlungsraum profitiert auch der Mensch. © Raphael Weber/Alamy

Biodiversitätsinitiative bringt mehr Natur in den Siedlungsraum


Bereits heute ist die Biodiversität im Siedlungsraum höher als im umliegenden Landwirtschaftsland, wie eine Studie des BAFU zeigt. Flächen mit naturnaher Gestaltung sowie einheimischen Bäumen, Sträuchern und angepasstem Unterhalt können erstaunlich viele Tier-, Pilz- und Pflanzenarten beherbergen. Und vor allem sind sie wichtig für unser Wohlergehen, gerade für jenes der Kinder, und für das Naturerlebnis. Doch wer sich im heutigen Siedlungsraum umsieht, sieht vielerorts betonierte Flächen, Schottergärten und exotische Arten. Das Potenzial für die Förderung naturnaher Lebensräume wird wird bei Weitem nicht ausgenutzt. Die Biodiversitätsinitiative will, dass der Bund und in diesem Fall vor allem die Kantone zusammen mit den Gemeinden und den Akteuren in den Dörfern, Agglomerationen und Städten auch im Siedlungsraum für mehr Biodiversität sorgen. Es gibt aber keinerlei Kompetenzverschiebung von den Kantonen und Gemeinden zum Bund. Auch hier lässt der Verfassungstext der Initiative offen, welches Vorgehen im Detail gewählt wird. KMUs, andere Unternehmen, die Immobilienbesitzenden und alle Bewohnerinnen und Bewohner profitieren von der Biodiversitätsinitiative.

 

Biodiversitätsinitiative im Interesse des ländlichen Raums und des Tourismus


Die Biodiversität ist wichtig für alle Landesgegenden. Gerade das Berggebiet gewinnt, wenn etwa Hänge dank der Pflanzenvielfalt vor Rutschungen geschützt sind. Der ländliche Raum profitiert aber auch von den Mitteln, die für die Biodiversität eingesetzt werden. Diese Gelder sind gut investiert, denn sie sichern unsere Lebensgrundlage und fliessen zugleich in die Gemeinden der ganzen Schweiz. Dort stützen sie die lokale Wirtschaft. Rund 40 % der Naturschutzgelder sind Aufträge an regionale Baufirmen und Planungs- und Unterhaltsbüros. Weitere rund 40 % gehen an die Landwirtschaft für den Unterhalt von Schutzgebieten und 20 % an die Waldwirtschaft und weitere Akteure. So war es bisher, und das dürfte mit den dringend nötigen Zusatzmitteln für die Biodiversität so bleiben. Der Bundesrat schätzt die zusätzlichen Bundesmittel dank der Biodiversitätsinitiative auf rund 400 Millionen Franken pro Jahr. Darin sind Aufgaben enthalten, die bereits heute vom Gesetz her verlangt sind, aber ungenügend umgesetzt werden. Der Betrag mag nach viel klingen – es ist aber ein Schnäppchen, wie der Bundesrat selber aufzeigt. Denn er hat geschätzt, dass die zukünftigen Kosten des Biodiversitätsverlustes ab 2050 14 bis 16 Milliarden Franken pro Jahr betragen, wenn die Schweiz nicht rasch mehr zum Erhalt der Biodiversität unternimmt.

Eine intakte Natur, vielfältige Landschaften und eine hohe Baukultur sind aber auch für den Schweizer Tourismus wichtige Pluspunkte, um die Gäste in die Regionen zu locken. Es ist klar, dass für den Tourismus eine passende, funktionelle Infrastruktur zentral ist. Doch genau da wurde in den letzten Jahrzehnten auch stark gesündigt. Damit gefährdet der Tourismus seine eigenen Grundlagen: Natur und Landschaft. Die Biodiversitätsinitiative hilft, die Grundlagen für den Tourismus zu sichern und die Qualität zu fördern, bei der Landschaft und auch bei der Infrastruktur. Die Initiative ist also im ureigensten Interesse des Tourismus.

 

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Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist auch biodiversitätsverträglich möglich. © iStock

Initiative ist mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien kompatibel


Eine intakte Natur hilft gegen den Klimawandel: Moore und Wälder speichern CO2, Bäume und Gewässer sorgen für Abkühlung. Klimaschutz, Naturschutz und der Ausbau der erneuerbaren Energien müssen zusammen angepackt werden.An der heutigen Gesetzgebung im Bereich Energie ändert die Biodiversitätsinitiative nichts. Diese schreibt die bewährte Praxis der Interessenabwägung in die Verfassung und schafft mehr Klarheit für die Umsetzung: Sie sorgt dafür, dass der Schutz von Natur und Landschaft auf Augenhöhe mit der Energieversorgung und dem Klimaschutz angegangen wird. Denn die Biodiversitätskrise ist ebenso existenzbedrohend wie die Klimakrise. Die Initiative ist also vollauf kompatibel mit der Umsetzung der Energiestrategie oder des Stromgesetzes und damit auch der Energiewende. Die Versorgungssicherheit und der Eigenversorgungsgrad mit Energie ändern sich mit der Annahme in keiner Weise. Einen Einfluss auf Importe oder den Strompreis hat sie nicht. Vielmehr befürworten die Trägerorganisationen der Initiative den dringend nötigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Fazit: Eine naturverträgliche Energiewende ist mit einer sorgfältigen Planung und frühzeitigen Berücksichtigung der Biodiversität möglich. Dafür schafft die Biodiversitätsinitiative gute Voraussetzungen.

 

Risks

Globale Risiken, geordnet nach Schweregrad für die nächsten zehn Jahre, aus dem Global Risk Report 2024 des WEF. Grün: Umweltrisiken. Biodiversitätsverlust und Zerfall der Ökosysteme sind das drittgrösste Risiko für die Wirtschaft.

Die Biodiversitätsinitiative ist auch im Interesse der Wirtschaft


Die Sicherung der Biodiversität hat sehr viel mit wirtschaftlicher Produktion und Dienstleistung zu tun. Gesundheit, Nahrung, Hochwasserschutz, klimaregulierende Funktionen, Energieproduktion, Roh- und Wirkstoffe und vieles mehr: Fast alle Unternehmen hängen direkt oder indirekt von den Leistungen der Biodiversität ab. Und Verstösse gegen die Sicherung der Biodiversität sind Reputationsrisiken, welche die Unternehmen unbedingt vermeiden wollen. Immer mehr Firmen realisieren, wie wichtig die Biodiversität für sie ist. Die Wirtschaftsleader der Welt haben im Global Risk Report des WEF vom Januar 2024 den Biodiversitätsverlust in den nächsten zehn Jahren als drittgrösstes Risiko für die Wirtschaft überhaupt eingeschätzt. Behauptungen, die Biodiversitätsinitiative bremse die Wirtschaft, sind falsch. Vielmehr unterstützt die Sicherung der Biodiversität die Wirtschaft. Damit ist die Biodiversitätsinitiative auch im Interesse der Wirtschaft.


Dr. Raffael Ayé ist der Geschäftsführer von BirdLife Schweiz.

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