Die Hochebene von Rothenthurm präsentiert sich heute als einmalige Moorlandschaft von nationaler Bedeutung und besonderer Schönheit. Doch der Eindruck täuscht: In den letzten 30 Jahren sind hier unter anderem der Grosse Brachvogel, die Bekassine und der Kiebitz als Brutvögel verschwunden. Weitere Arten wie das Braunkehlchen und andere Wiesenbrüter mussten starke Bestandseinbussen verzeichnen.
BirdLife Schweiz startete deshalb 2016 in Zusammenarbeit mit dem Umweltdepartement des Kantons Schwyz und BirdLife Schwyz das Projekt «Förderung von Wiesenbrütern in den Moorlandschaften Rothenthurm, Schwantenau und Breitried». Ziel des Projektes: die verbleibenden und wertvollen Bestände von Braunkehlchen und Wiesenpieper in den Schwyzer Moorlandschaften zu erhalten und zu fördern.
Torf als Brennstoff
Die Hoch- und Flachmoore Rothenthurms mit ihren vielen spezialisierten Moosen, Pflanzen, Tieren und Pilzen waren einst viel ausgedehnter. Doch 1748 hat man gemäss historischen Quellen begonnen, in Einsiedeln SZ Torf zu stechen. Etwa um die gleiche Zeit dürfte auch das Torfstechen in Rothenthurm angefangen haben. Zuerst wohl im kleinen Stil, um das eigene Haus zu heizen, mit der Zeit immer industrieller, um neu entstehende Industriebetriebe zu befeuern.
Der Grund für den Torfabbau: Um die Mitte des 18. Jahrhunderts war der Brennholzvorrat der Wälder grösstenteils erschöpft. Doch die Menschen und die wachsende Industrie benötigten rasch neue Brennstoffquellen. Um 1900 waren zwischen Frühling und Herbst um die hundert Personen im Moor beschäftigt, elf Stunden pro Tag.
Im 20. Jahrhundert verdrängten dann Kohle und Erdöl nach und nach den Brennstoff Torf. Allerdings fand Torf jetzt als Gartenerde Verwendung, sodass sich das Abtragen weiterhin lohnte. Erst im Jahr 1989, zwei Jahre nach der Annahme der Rothenthurm-Initiative, wurde der Torfabbau in der Schweiz verboten. Bis dahin war in der Rothenthurmer Moorlandschaft ein grosser Teil der im Durchschnitt zweieinhalb Meter dicken Torfschicht abgetragen worden.
Rothenthurm-Initiative sei Dank
Dass die Hochebene von Rothenthurm nicht vollständig entwässert, überbaut oder in einen Übungsplatz für die Armee umgewandelt wurde, ist der Rothenthurm-Initiative zu verdanken. Sie erwuchs aus der unerwartet heftigen Reaktion auf die Pläne der Armee in den 1980er-Jahren, in der Rothenthurmer Moorlandschaft einen Waffenplatz zu errichten. Naturschützer und lokale Landwirte, die ihr Land nicht hergeben wollten, taten sich zusammen und wehrten sich vehement gegen das Vorhaben. Die Initiative «zum Schutz der Moore» wurde am 6. Dezember 1987 vom Volk angenommen. Mit ihr wurde der Bau des Waffenplatzes verhindert – und der Moorschutz fand Eingang in die Bundesverfassung.
Der Schutz kam für viele Moore fast zu spät – durch intensive Ausbeutung und damit einhergehender Entwässerung war vielerorts ihr natürliches Gleichgewicht bereits stark gestört.
Der Rothenthurm-Artikel verbietet Bodenveränderungen und Einrichtungen, sofern sie nicht der bisherigen landwirtschaftlichen Nutzung der Moore und Moorlandschaften dienen. In Mooren muss der Wasserhaushalt erhalten und verbessert werden. Doch die Moorflächen in Rothenthurm wurden in den letzten Jahrzehnten immer trockener und nährstoffreicher. Die dadurch begünstigte Verbuschung veränderte den einst offenen Lebensraum, die Landschaft verwaldete zunehmend.
Durch diese Veränderungen gingen für die Moore typische Pflanzen- und Tierarten verloren. Mit dem Projekt zur Förderung der Wiesenbrüter will BirdLife Schweiz mit seinen Partnern noch bestehende Bruten möglichst schützen und die Lebensräume aufwerten. Zudem gilt es, sowohl die Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter als auch die Bevölkerung für die Ziele des Projektes zu sensibilisieren. Seit Projektbeginn konnte eine ganze Reihe von Massnahmen zur Verbesserung der Situation für die Wiesenbrüter umgesetzt werden.
Zu viele Büsche sind ein Problem
Verbuschung und Verwaldung ist ein Problem für Braunkehlchen und Wiesenpieper. Beide Arten nutzen zwar Büsche und Einzelbäume als Sitzwarten; überschreitet deren Anzahl aber eine bestimmte Grenze, geht der offene Landschaftscharakter verloren. Als Folge geben Braunkehlchen und Wiesenpieper ihre Lebensräume auf.
In Rothenthurm betrifft das vor allem Gebiete im Nord- und Mittelteil im Bereich der Dritten Altmatt. Hier hat es noch grosse Flächen, die landwirtschaftlich nicht genutzt oder erst spät gemäht werden. In diesen Flächen könnten die Wiesenbrüter eigentlich sicher brüten – doch wegen der zunehmenden Verbuschung eignen sie sich für sie nicht mehr als Lebensraum. Noch 2012 waren in diesen Teilen mehrere Braunkehlchen- und Wiesenpieperreviere festgestellt worden. 2016 waren diese Reviere verschwunden. Die verbleibenden beschränken sich auf den Südteil, wo die Verbuschung wegen der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung kein Problem ist. Allerdings sind hier die Bruten durch die Landwirtschaft besonders gefährdet.
Eine der Hauptmassnahmen des Projekts war es deshalb, die Flächen im Nord- und Mittelteil der Moorlandschaft wieder offener zu gestalten. Lokale Landwirte, der Forstdienst einer lokalen Genossame und Zivildienstleistende befreiten im Rahmen des Projekts eine Fläche von insgesamt etwa 10 Hektaren von Büschen und Bäumen, um einen möglichst ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Mit Erfolg: Im Gebiet Schlänggli gab es unmittelbar neben der abgeholzten Fläche 2019 wieder ein Braunkehlchen- und ein Wiesenpieperrevier. 2020 brüteten auf und unmittelbar neben der Fläche mehrere Schwarzkehlchenpaare.
Dabei zeigte es sich, wie wichtig es ist, dass die lokalen Bewirtschafter eine persönliche Beziehung zum Projekt aufbauen und auch finanziell profitieren können. Nur so kann ein gemeinsames Schaffen für die Natur langfristig funktionieren.
Der erste Schnitt kommt zu früh
In der Moorlandschaft Rothenthurm liegen verschiedene Wiesentypen nebeneinander, die unterschiedliche Schnittzeitpunkte haben. Streuwiesen werden ab dem 1. September gemäht; hier können Wiesenbrüter ihre Brut erfolgreich grossziehen. Extensivwiesen dürfen ab dem 1. Juli gemäht werden – hier kann es für gewisse etwas später begonnene Bruten und für Ersatzbruten Probleme geben. Für Intensivwiesen schliesslich gibt es keinen vorgegebenen Schnittzeitpunkt, sie dürfen jederzeit gemäht werden.
Auf der Höhenstufe von Rothenthurm (900 m ü.M) findet der erste Schnitt normalerweise Ende Mai oder Anfang Juni statt, viel zu früh, als dass Wiesenbrüter ihre Jungen erfolgreich aufziehen könnten. Doch im April, wenn die Braunkehlchen aus Afrika in ihr Brutgebiet kommen, sind die Intensivwiesen für die Vögel zum Teil attraktiver als die mageren Streuwiesen. Für den Nestbau brauchen sie nämlich eine dichte Vegetationsschicht, die einen gewissen Sichtschutz aus der Luft bietet. In Intensivwiesen gebaute Nester werden aber unweigerlich vermäht.
Meist werden sechs Eier gelegt, eines pro Tag; gebrütet wird ab der letzten Eiablage. Findet die erste Mahd während der Eiablage statt, werden Nest und Eier zerstört. Kommt die erste Mahd etwas später während der Bebrütung der Eier, wird oft auch das Weibchen, das auf den Eiern sitzen bleibt, mit vermäht. Im ersten Fall kann immerhin eine Ersatzbrut stattfinden, im zweiten Fall nicht.
Mit zwei Massnahmen wollte das Projekt dieses Problem an der Wurzel packen. Einerseits sollten Intensivwiesen extensiviert, andererseits sollte der früheste Schnittzeitpunkt für Extensivwiesen vom 1. Juli auf den 15. Juli verlegt werden. Die Beratungen der Landwirte zeigten aber, dass es sehr schwierig ist, sie für eine Extensivierung zu motivieren. Aufgrund des sehr hohen Tierbesatzes benötigen sie jede erdenkliche Fläche, um Futter zu produzieren und Gülle auszubringen.
Bisher liess sich kein Landwirt finden, der bereit war, eine Fläche weniger intensiv zu bewirtschaften. Immerhin war die Verschiebung des Schnittzeitpunktes bei bestehenden Extensivwiesen erfolgreich. Alle angefragten Landwirte willigten ein, diese Wiesen erst Mitte Juli zu mähen. Damit sind heute 4,9 Hektaren Extensivwiesen für die Wiesenbrüter sicher.
Überblick über sämtliche Massnahmen in Rothenthurm. Rot: Entbuschungen; grün: Sitzwartengruppen; gelb: Spätschnitt; blau: Wiedervernässung. © Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA200161)
Nester schützen
In Rothenthurm bauen die Braunkehlchen ihre Nester ungefähr zwischen dem 12. und 25. Mai; dafür verantwortlich sind ausschliesslich die Weibchen. Um zu verhindern, dass auf den (weiterhin) intensiv genutzten Flächen Bruten vermäht werden, versuchten die Projektverantwortlichen von BirdLife Schweiz 2017, 2018 und 2019 während der Nestbauphase herauszufinden, ob in den Intensivwiesen Nester gebaut werden. Kein leichtes Unterfangen – nur mit viel Glück entdeckt man ein Braunkehlchen-Weibchen mit Nistmaterial im Schnabel! Sieht man das Weibchen dann mit dem Nistmaterial ins Gras gehen und ohne Material wieder hochfliegen, weiss man, wo das Nest entsteht. Liegt dieser Ort in einer Intensivwiese, wird mit dem Bewirtschafter ausgemacht, dass er eine Fläche von etwa 30x30 Meter um das Nest nicht mäht. Für den dadurch verursachten Futterausfall erhält er im Rahmen des Projekts eine Entschädigung.
Sitzwarten einrichten
Wiesenbrüter brauchen in ihren Revieren Sitzwarten, auf denen sie singen und von denen aus sie jagen können. Zudem sind sie auf Vegetationsstrukturen angewiesen, in und unter denen sie ihr Nest bauen können. Solche Strukturen sind in den im Herbst gemähten Streuwiesen dünn gesät. Um diese Flächen für die Wiesenbrüter attraktiver zu gestalten, brachten wir ab 2018 künstliche Sitzwarten in Form von Bambusstäben aus. Im August steckten wir jeweils auf Flächen von 15x15 Metern 29 Bambusstäbe aus, 5x5 Stäbe mit verdichtetem Zentrum. Da im September um diese Flächen herum gemäht wird, entstehen Inseln, die im Frühling sowohl Sitzwarten als auch dichtere Vegetation aufweisen. Die Braunkehlchen reagierten positiv auf die Sitzwartengruppen und verschoben ihre Reviere in deren Nähe.
Mit den Sitzstangen ist es uns gelungen, die Vögel von den Intensivwiesen wegzulocken, sodass sie ihre Nester in weniger stark gefährdeten Zonen anlegten. In Rothenthurm wurden 2019 im Gegensatz zu 2018 in den Intensivwiesen ganz im Süden des Perimeters keine Braunkehlchen festgestellt. Nur ein Paar baute direkt angrenzend an eine Streuefläche sein Nest in eine Intensivwiese.
Die gesteckten Bambusstäbe dienen dem Braunkehlchen als Sitzwarten. Im September wird rund um die Stangen herum gemäht; dadurch bleiben Inseln mit hoher Vegetation stehen. © André Ducry
Einstauen gegen die Austrocknung
In den letzten 20 Jahren sind die Hoch- und Flachmoore in Rothenthurm trockener und nährstoffreicher geworden. Das zeigen pflanzensoziologische Vergleichsaufnahmen, die 2001, 2007 und 2019 im Auftrag des Kantons durchgeführt wurden. Dies bedeutet, dass die Lebensräume nach und nach ihren typischen Charakter verlieren. Im Gebiet Bann, in dem zwischenzeitlich Regenerationsmassnahmen durchgeführt wurden, wurde es in der gleichen Zeit hingegen feuchter.
Um der Austrocknung zu begegnen, definierten die Projektverantwortlichen im Herbst 2019 aufgrund hydrologischer Untersuchungen Flächen, die durch Stautafeln wieder vernässt werden sollten. Für deren Installation sind Baubewilligungen erforderlich. Im Januar 2020 konnten aber bereits die ersten Stautafeln eingebaut werden.
Diese installierten Stautafeln sind grundsätzlich geschlossen. Im August aber können sie geöffnet werden, sodass die Streumahd im September durchgeführt werden kann. Damit das Wasser vor der Mahd rasch abläuft, müssen neben dem Bau der Wehre auch die Gräben oberhalb dieser gepflegt werden.
Durch die Wehre erhöht sich also nicht nur der Wasserstand; es entstehen vielmehr auch neue, offene Wasserflächen, die Libellen, Amphibien und anderen Artengruppen Lebensraum bieten. Im Frühjahr 2020 konnten bereits die ersten patrouillerenden Libellen wie Vierfleck und Plattbauch an den eingestauten Bereichen nachgewiesen werden.
Dank neu gebauter Wehre entstehen Lebensräume für ans Wasser gebundene Tiere wie Amphibien und Libellen. © André Ducry
Glaubwürdigkeit wächst
War unser Projekt in der Anfangs- und Aufbauphase in der Öffentlichkeit noch kaum sichtbar, folgten in den letzten zwei Jahren Vorträge, Exkursionen und Artikel Schlag auf Schlag. Natürlich hat das mit unserer zunehmenden Präsenz vor Ort und der steigenden Sichtbarkeit der umgesetzten Massnahmen zu tun. Dadurch werden wir nicht nur stärker wahrgenommen, sondern sind auch glaubwürdiger geworden.
Nachdem wir 2018 nur 5 erfolgreiche Braunkehlchen-Bruten beobachten konnten, waren es 2019 und 2020 jeweils 9 Bruten, mit 27 bzw. 26 gesichteten Jungvögeln. Im zuvor verwaisten Mittelteil wurde 2019 während einigen Tagen ein Braunkehlchen-Männchen beobachtet, 2020 waren über längere Zeit zwei Männchen anwesend. Für eine Brut fehlten leider die Weibchen. Im Nordteil konnte 2019 neu auch wieder ein Braunkehlchen-Männchen beobachtet werden, 2020 wurde Anfang Mai sogar ein Paar gesichtet, ohne dass es zu einer Brut kam.
Bemühungen zahlen sich aus
Ende 2019 konnte BirdLife Schweiz die erste Projektphase abschliessen. In der zweiten Projektphase von 2020 bis 2024 werden wir die bisherigen Massnahmen weiterführen. Das erhöhte Budget wird es uns ermöglichen, insbesondere die Anstrengungen für Entbuschung und Wiedervernässung bis 2024 zu verstärken und damit weitere wichtige Schritte zur Verbesserung der Lebensräume einzuleiten.
Alles in allem stellt das Projekt für alle Beteiligten eine Herausforderung dar. Die agrarpolitischen Rahmenbedingungen und gewisse Vorbehalte gegenüber dem Naturschutz machten es uns ortsfremden Naturschützern nicht leicht, Fuss zu fassen. Über die vier Jahre ist es uns jedoch gelungen, Glaubwürdigkeit vor Ort zu gewinnen, gute persönliche Kontakte zu fast allen Bewirtschaftenden aufzubauen und gemeinsam konstruktive Lösungen für einige der vorhandenen Probleme in den Moorlandschaften zu finden.
Die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass sich die Bemühungen von BirdLife Schweiz auszahlen. Noch ist die Braunkehlchen-Population in Rothenthurm klein, doch wir hoffen, dass die Talsohle durchschritten ist. Möge sich dieser positive Trend dank unserer verstärkten Massnahmen in den kommenden Jahren fortsetzen. Dafür wird sich BirdLife Schweiz weiterhin einsetzen.
André Ducry ist Mitarbeiter Artenförderung; Martin Schuck leitet die Abteilung Artenförderung bei BirdLife Schweiz.
Finanziert wurde das Projekt durch die Albert Koechlin Stiftung, die Ernst Göhner Stiftung, die Béatrice Ederer-Weber Stiftung, die Heinrich Welti-Stiftung, den Fonds Landschaft Schweiz und den Kanton Schwyz. Ganz herzlichen Dank!
Im Einsatz für die Wiesenbrüter