Als Ende des 19. Jahrhunderts Chur und Davos mit der Eisenbahn erschlossen wurden, entstand dort, wo der Fluss Landquart aus dem Prättigau in den Rhein mündet, die Station Landquart. Sie ist bis heute ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für Reisende ins Bündnerland. Als politische Gemeinde aber existiert Landquart erst seit dem 1.1.2012, als sich die beiden zuvor autonomen politischen Gemeinden Igis und Mastrils zusammenschlossen.
Heute ist Landquart die Gemeinde mit den grössten ebenen Ackerflächen im Kanton Graubünden. Entsprechend intensiv wird produziert, das Kulturland in der Ebene ist weitgehend ausgeräumt. Und doch: Da und dort bleibt der Blick an einer Hecke hängen, einer attraktiven Allee oder einem blumenreichen Strassenbord. Für einige dieser Strukturen zeichnet der Vogelschutz Landquart verantwortlich, eine der vier Sektionen des Bündner Vogelschutzes, dem Kantonalverband des SVS/BirdLife Schweiz. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, die vielfältigen und naturnahen Lebensräume in Landquart und Umgebung zu bewahren und zu fördern.
Ganz besonders gut gelungen ist dies im Biotop Gandalöser. «Das ist aktuell unser Juwel», freut sich Stefan Linder, seit 2012 Präsident des Vogelschutzes Landquart. Das Biotop liegt in einem Gebiet, wo noch vor der Kanalisierung der Landquart mit Hilfe von Querdämmen fruchtbares Land gewonnen wurde. «Bei Hochwasser entstanden durch die Überflutung Böden von unterschiedlicher Qualität, die den Bürgern per Los zugeteilt wurden – daher der Name Löser», erklärt der Vorgänger von Stefan Linder, Simon Persenico. «Ganda» wiederum ist ein alter Flurname und bedeutet Schuttfeld oder Geröllhalde.
Als Rhein und Landquart dann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingedämmt wurden, entstand fruchtbares Land im Übermass – mehr, als die Bauern damals bewirtschaften konnten. Die Löser wurden aufgegeben, verbuschten und waldeten ein, blieben aber oft durchsetzt mit Feuchtgebieten. Es entwickelte sich eine erstaunliche Artenvielfalt. In den Gandalösern wurde in den 1980er- und 1990er-Jahren Kies abgebaut. Den Amphibien setzte dies nicht allzusehr zu: Nach Aufgabe der Kiesgewinnung konnten noch anfangs der 1990er-Jahre Gelbbauchunke, aber auch Kamm- und Teichmolch in den verbliebenen Pfützen dokumentiert werden.
Im richtigen Moment handeln
Die Katastrophe passierte, als die Grube mit Bauschutt gefüllt wurde. Der anschliessenden Aufforstung eines Teils des Gebiets und der Erschliessung von Flächen für die intensive Landwirtschaft fielen auch die letzten noch vorhandenen wertvollen Lebensräume zum Opfer.
Vor rund 15 Jahren empfahl ein Ökobüro, das im Auftrag der Gemeinde Igis Vorschläge für ökologische Aufwertungen auf dem Gemeindegebiet ausarbeitete, die Renaturierung der Gandalöser. Doch die Landbesitzerin, das Bistum Chur, verweigerte dies. Jetzt schlug die Stunde des Vogelschutzes Landquart. Mehrere Jahre lang verhandelte der damalige Präsident Simon Persenico mit Bistum und Gemeinde, bis das Biotop 2009/10 realisiert werden konnte. Es wurde kräftig entbuscht und erhielt sieben Weiher. Seither pflegt der Vogelschutz Landquart mit Unterstützung des Försters das Gebiet. Die grossflächig wuchernde Luzerne und Neophyten wie Goldrute, Sommerflieder, Knöterich und Robinie machten eine intensive Bekämpfung nötig.
Heute ist das Biotop Gandalöser mit seiner Grösse von etwa einem Drittel Hektare und seiner reichen Struktur- und Artenvielfalt eine Augenweide. Auf dem kiesigen Boden gedeihen Ruderalpflanzen, von den unterschiedlich tiefen Tümpeln profitieren Bergmolch, Grasfrosch und Erdkröte, aber auch seltene Libellen wie das Kleine Granatauge und die Kleine Pechlibelle. Schling- und Ringelnatter, Zaun- und Mauereidechse besiedeln die angelegten Stein- und Asthaufen. In der Bienennisthilfe ist jeder Hohlraum besetzt, an einer Wand haben Wespen ihr Nest angelegt. Bunt- und Grünspecht sind regelmässige Gäste; auch Eisvogel und Waldwasserläufer wurden schon gesichtet. Nur die Gelbbauchunke lässt noch auf sich warten. Auf den ausführlichen Infotafeln sind spannende Details zur Lebensweise einiger der geförderten Arten dargestellt.
Stolz zeigen Stefan Linder und Simon Persenico das Gästebuch, das in einer Metallkartusche an einem Baum hängt. Unzählige begeisterte Besucherinnen und Besucher und viele Kinder haben darin ihre Beobachtungen notiert oder gezeichnet; bei der Bevölkerung ist das struktur- und blütenreiche Biotop offenbar sehr beliebt.
Perlen in der Landschaft
Das Biotop Gandalöser ist zwar das grösste Projekt des Vogelschutzes Landquart, doch auch alle anderen können sich sehen lassen. Im Biotop Felsenbach am Fuss der Klus speist Quellwasser zwei miteinander verbundene Teiche, die beidseits eines Fahrsträsschens liegen. Das Dunkeläuli beherbergt ein ganzes System von unterschiedlich tiefen Tümpeln zur Förderung der Amphibien. 2014 gestaltete der Verein zusammen mit der Natur- und Landschaftsschutzkommission Malans hier einen neuen Unkenteich; zudem wurde mit dem Forstdienst Malans der angrenzende Hang entbuscht und damit ein Trockenstandort für Reptilien geschaffen. Diesen und anderen trocken- und wärmeliebenden Organismen kommt auch der Spickel zwischen den Gleisen der Rhätischen Bahn beim Bahnhof Landquart zugute, den der Verein pflegt.
Im Gleisspickel beim Bahnhof Landquart, einem Lebensraum verschiedener Eidechsen- und Schlangenarten, führt der Vogelschutz Landquart Pflegearbeiten durch. © Stefan Linder
Aufwertungen auf kleinster Skala sind die Nisthilfen für Vogelarten, denen es besonders an Brutgelegenheiten mangelt. So stellte der Verein im Rahmen des Artenförderungsprojekts des SVS/BirdLife Schweiz dem Wendehals und dem Gartenrotschwanz in den Rebbergen der Bündner Herrschaft Nistkästen zur Verfügung und kontrolliert und reinigt sie. Ornis hat über das Projekt bereits verschiedentlich berichtet (siehe z.B. Ornis 6/07 und 2/10). Doch dies ist längst nicht alles. Seit Jahren betreuen Vereinsmitglieder rund hundert Nistkästen, unter anderem mit Mehlschwalbenkolonien an der Papierfabrik Landquart (20 Nester) und am Schulhaus Untervaz (35 Nester, die zudem vor ein paar Jahren erfolgreich umgesiedelt wurden). 2014 montierten sie an Landwirtschafts- und anderen Gebäuden und an Hecken zusätzlich 130 Nisthilfen für Rauch- und Mehlschwalbe, Mauersegler, Wendehals, Gartenrotschwanz, Turmfalke und Wiedehopf. Allein am neuen Stall des Landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrums Plantahof konnte der Vogelschutz Landquart zehn Mauersegler-, neun Mehlschwalben-, sieben Rauchschwalben- und zwei Turmfalkenkästen installieren.
Mit dem Plantahof besteht überhaupt eine ausgezeichnete Zusammenarbeit. Der nächste Streich wird nun die Pflanzung einer Allee mit insgesamt 26 Eichen, Vogelkirschen und Nussbäumen auf dem Areal des Plantahofs sein. Sie wird beidseits von einem fünfzehn Meter breiten ökologisch wertvollen Saum begleitet sein. Möbel Stocker in Chur hat die Finanzierung übernommen und die Bäume spendiert. Die Firma unterstützt immer wieder Projekte des Vogelschutzes Landquart und des Bündner Vogelschutzes mit namhaften Beiträgen. Angesichts des erfolgreichen Wirkens des Vereins ist das Geld sehr gut und nachhaltig angelegt!
Geselligkeit ist wichtig
Der Vogelschutz Landquart existiert seit 1966 und zählt heute rund 330 Mitglieder. «Geselligkeit ist eine ganz wichtige Säule in unserem Verein», betont Präsident Stefan Linder. «Das zeigt sich auch am grossen Engagement vieler unserer Mitglieder.» Bei grösseren Pflegeeinsätzen kommen die Naturschützer jeweils in den Genuss eines feinen Imbisses. Alle Aktiven erhalten zudem für ihre Einsätze als Dank und Anerkennung jährlich einen «Scarnutz Grischun», eine Bünder Papiertasche, gefüllt mit lokalen Spezialitäten.
Geselligkeit wird auch an den Exkursionen gepflegt, an denen häufig 50 und mehr Personen teilnehmen. «Da staunen die externen Exkursionsleiter jeweils, wenn wir mit dem Doppelstöckerbus anfahren», schmunzelt Linder. Mit den sieben in Graubünden bisher durchgeführten Feldornithologiekursen mit insgesamt mehr als 200 Teilnehmenden erweiterte sich der Pool von potenziellen Vereinsmitgliedern und Engagierten weiter.
Simon Persenico ist hocherfreut, dass sein Nachfolger die Leute so gut motivieren und begeistern kann. Für die Entwicklung des Vereins sei dies absolut entscheidend. «Ich habe den Verein ausgebaut – Stefan hat ihn zum Blühen gebracht», meint er. Der aktuelle Präsident winkt bescheiden ab. «Ohne die Unterstützung des Vorstands und der aktiven Vereinsmitglieder mit Rat und Tat, Ideen und entschlossenem Einsatz wären wir nie so weit gekommen», betont er. Wie sehr der Vogelschutz Landquart in der Region geschätzt wird, zeigt sich jeweils im September am Vereinsstand am Landquarter Markt. Sowohl der Kinderwettbewerb zum Thema Vögel und Natur wie auch das zugehörige Beizli erfreuen sich grosser Beliebtheit.
Nach ihrem Erfolgsrezept befragt, sind sich Stefan Linder und Simon Persenico über die wichtigsten Zutaten einig: Nicht gleich aufgeben, mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten – und die Geselligkeit mit Gleichgesinnten pflegen. Die Würze sei aber die persönliche Motivation jedes Einzelnen. «Man muss schon ein bisschen angefressen sein», so die beiden; «aber man erhält auch viel zurück!»
Dr. Daniela Pauli ist Redaktorin von Ornis.
Hartnäckigkeit zahlt sich aus