Ein Flughafen im grössten Feuchtgebiet Portugals, das Millionen von Zugvögeln als Brut- und Rastplatz dient? Neue Wohnsiedlungen in australischen Wattflächen, in denen 75 % der weltweiten Population des Isabellbrachvogels überwintern? Das sind Horrorszenarien – doch sie hätten sich fast bewahrheitet. Nur dank dem Einsatz von BirdLife konnten sie abgewendet werden.
Sowohl die Tejo-Mündung in Portugal als auch die Moreton Bay in Australien sind Important Bird and Biodiversity Areas (IBAs), die für den Erhalt der Biodiversität besonders wichtig sind. Überall auf der Welt hat BirdLife solche IBAs identifiziert: Seit 1979 hat BirdLife zusammen mit Partnern 13 500 Gebiete dokumentiert, die klar geregelte Kriterien erfüllen. Sie sind heute auch wesentlicher Teil der globalen Key Biodiversity Areas (KBA) und tragen zum globalen Fortbestand der Biodiversität bei. Oft werden sie von nationalen und internationalen Entscheidungsträgern genutzt, um ihrerseits Schutzgebiete auszuscheiden. So waren die IBAs zum Beispiel eine wichtige Grundlage für die Natura 2000-Gebiete der EU.
«Doch nur weil ein Gebiet als wichtig eingestuft wird, bedeutet das noch lange nicht, dass es auch geschützt ist», sagt Zoltan Waliczky, Koordinator für globalen Gebietsschutz bei BirdLife International. Fast 400 IBAs sind gar einem derart starken Druck ausgesetzt, dass BirdLife sie als «gefährdete IBAs» einstuft, die dringend Schutzmassnahmen benötigen. «Viele der Gebiete sind durch Bebauung, Landwirtschaft, Abholzung und manchmal auch Wilderei bedroht», so Waliczky.
Für die Bekämpfung aller Bedrohungen fehlen die Ressourcen. «Daher müssen wir uns auf die wichtigsten Standorte fokussieren», sagt Waliczky. «Dort arbeiten wir mit unseren lokalen BirdLife-Partnern zusammen, um die Bedrohungen zu mindern oder im Idealfall zu beseitigen.»
Uferschnepfen statt Flugzeuge
Die Tejo-Mündung bei Lissabon in Portugal ist für überwinternde und durchziehende Vögel von grösster Bedeutung. Im Spätwinter bietet sie bis zu 80 000 Uferschnepfen und 250 000 Säbelschnäblern einen Zufluchtsort, wodurch die Tejo-Mündung sich als global bedeutende KBA qualifiziert. Das Gebiet ist zudem durch die Gesetzgebung der EU und Portugals sowie durch internationale Abkommen, darunter das Ramsar-Abkommen, geschützt. Doch alle Schutzbestimmungen konnten die portugiesische Regierung nicht davon abhalten, die Flussmündung 2020 als bevorzugten Standort für den neuen Flughafen von Lissabon vorzuschlagen.
Dies löste nicht nur in Portugal, sondern in vielen Ländern entlang der Zugrouten der Vögel einen Aufschrei aus. Die SPEA/BirdLife Portugal übermittelte dem portugiesischen Präsidenten und Premierminister Protestschreiben von 15 führenden europäischen und afrikanischen Naturschützenden sowie eine Petition von Vogelbescherming/BirdLife Niederlanden mit 40 000 Menschen Unterschriften. Die Uferschnepfe gilt in den Niederlanden als Nationalvogel, es laufen Schutzprogramme. Da wäre es völlig unverständlich, wenn die Schutzerfolge andernorts wieder zunichte gemacht würden.
SPEA/BirdLife Portugal ging zusammen mit Client Earth und anderen NGOs noch einen Schritt weiter, indem sie die Regierung vor Gericht brachten und sich bei der Europäischen Kommission beschwerten. Sie argumentierten, dass ein neuer Flughafen den Naturschutzwert der Tejo-Mündung um einen Drittel verringern würde. 2021 wurde die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für unzureichend befunden, was die Staatsanwaltschaft dazu veranlasste, sich der SPEA anzuschliessen. Eine unabhängige Studie ergab darauf, dass der Flughafen zwei Drittel der Uferschnepfen in der Flussmündung stören würde – weit mehr als von den UVP-Beratern geschätzt. Im Mai 2024 kündigte die Regierung an, dass der neue Flughafen ausserhalb des IBAs gebaut werden soll.
Nach vier Jahren unerbittlichen Drucks ist Portugals wichtigster Zuvogel-Rastplatz endlich sicher. Das Beispiel zeige, dass Bürgeraktionen schlechte Entscheidungen der Regierung verhindern könnten, sagt Domingos Leitão von der SPEA. «Allerdings braucht es einen sehr langen Atem.»
Baumogule wollten das Watt von Toondah Harbour (Australien) überbauen. Ein No-Go für BirdLife. © Judy Leitch
Strandläufer statt Luxus-Appartments
Fast 18 000 km entfernt, im Osten Australiens, sorgte ein anderer Watvogel-Rastplatz für Schlagzeilen. Die Moreton Bay vor Brisbane in Queensland, ein KBA- und Ramsar-Gebiet, beherbergt eine weltweit bedeutende Anzahl von Pfuhlschnepfen sowie Rotkehl- und Spitzschwanzstrandläufern und ist eine der letzten Hochburgen für den Isabellbrachvogel (Numenius madagascariensis). Doch auch dieses wichtige Gebiet war nicht vor Bedrohungen gefeit.
So wollten Bauunternehmen grosse, nahrungsreiche Wattflächen vor Toondah Harbour überbauen. Trotz der globalen Bedeutung des Feuchtgebietes erklärte die Regierung des Bundestaates sodann einen Teil der seichten Bucht zum vorrangigen Entwicklungsgebiet. 2015 kündigte Australiens grösster privater Bauträger, die Walker Corporation, einen 1,4 Milliarden Dollar teuren Plan zur Ausbaggerung und Erschliessung der Watt- und Sandflächen an: Innerhalb des Ramsar-Gebiets sollten 3600 Luxus-Wohnungen und ein Jachthafen gebaut werden. Erschreckenderweise befürwortete die Regierung von Queensland den Vorschlag, und der damalige australische Umweltminister trieb das Projekt sogar voran.
Bürger- und Naturschutzorganisationen, darunter BirdLife Australia, schlossen sich zusammen und starteten eine inzwischen zehnjährige Bürgerkampagne. Als die Wut zunahm, wurde der Kampf um die Rettung von Toondah Harbour zu einer der grössten Kampagnen von BirdLife Australia: 120 000 öffentliche Kommentare, E-Mails und Unterschriften richteten sich gegen das Bauvorhaben. Im April 2024 schlug die amtierende Umweltministerin Tanya Plibersek endlich vor, das skandalöse Bauprojekt abzulehnen. Dies veranlasste die Walker Corporation, ihren Antrag zurückzuziehen. Für Kate Millar, CEO von BirdLife Australia, ist klar: «Nur der anhaltende Druck und Widerstand von tausenden Australierinnen und Australiern, angeführt von engagierten Naturliebhabern vor Ort, hat diesen Sieg ermöglicht.»
Allerdings könne man sich noch nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sagt sie. Denn bei Toondah Harbour zeigte sich, dass die Zerstörung eines international bedeutenden Ramsar-Gebietes gefährlich nahe an die Umsetzung kam – aufgrund von Fehlern im System und Schlupflöchern in den Gesetzen. Das Bauprojekt hätte einen Präzedenzfall für die Aushöhlung des Ramsar-Schutzes in Australien und möglicherweise weltweit geschaffen. «Derzeit ist es viel zu einfach, die Naturschutzgesetze Australiens zu umgehen», erklärt Kate Millar. BirdLife Australia will dieses Problem an der Wurzel packen.
Vom Lear-Ara gibt es global noch 1700 Vögel. Dennoch wurde in ihrem Lebensraum ein Windpark gebaut. © Pete Oxford/mauritius
Andere Fronten
Überall auf der Welt muss sich BirdLife heute für den Schutz von IBAs und KBAs einsetzen. 2023 hat BirdLife erfolgreich Lobbyarbeit betrieben, um den Schutz des NACES-Meeresschutzgebiets im Nordostatlantik zu stärken (siehe Ornis 3/23). Es handelt sich um ein wichtiges Nahrungsgebiet, das jährlich von bis zu fünf Millionen Meeresvögeln besucht wird. Nun will BirdLife erreichen, dass die zuständige Kommission einen Managementplan entwickelt.
2022 unterstützte eine von BirdLife-Partnern geleitete Taskforce den Schutz von 30 bedrohten Gebieten in Afrika, darunter den Atewa-Wald in Ghana und den Lower-Zambezi-Nationalpark in Sambia. Afrikanische Partner sind auch am BirdLife-Programm zum Schutz der afrikanisch-eurasischen Zugroute beteiligt. Dabei sollen 3,3 Millionen Franken von der Stiftung «Ecological Restoration Fund» in den Schutz und die Wiederherstellung wichtiger Rastgebiete investiert werden.
Doch leider ist auch der engagierteste Kampf nicht immer von Erfolg gekrönt. Im vergangenen Jahr genehmigte die kanadische Regierung trotz Lobbyarbeit von Birds Canada/BirdLife Kanada die Erweiterung eines Frachtterminals, wodurch 177 Hektaren des Fraser-Deltas überbaut werden, eines wichtigen Rastplatzes z. B. für den Bergstrandläufer (Calidris mauri). Birds Canada achtet nun darauf, dass der Hafenbetreiber für die rechtlich verbindlichen Bedingungen, die mit dem Bau verbunden sind, zur Rechenschaft gezogen wird.
In Bahia, Brasilien, hat der Energiekonzern Voltalia in Canudos einen Windpark gebaut – mitten in der letzten Hochburg des stark gefährdeten Lear-Aras (Anodorhynchus leari). Das betroffene Gebiet – Teil des KBA Raso da Catarina – liegt auf der Flugroute der faszinierenden blauen Papageien, wenn sie zwischen ihren Schlaf- und Futterplätzen unterwegs sind. Dies führte zu der Befürchtung, dass es zu tödlichen Kollisionen kommen könnte. Dabei ist die weltweite Population des Lear-Aras dank der Schutzmassnahmen des BirdLife-Partners American Bird Conservancy und anderen von 60 Vögeln im Jahr 1983 auf fast 1700 Vögel im Jahr 2018 angestiegen.
Seit Jahren setzten sich American Bird Conservancy, SAVE Brasil/BirdLife Brasilien und andere gegen den Bau des Windparks an diesem Standort ein. Im April 2023 setzte ein Richter den Bau aus, bis eine ordnungsgemässe Umweltverträglichkeitsprüfung vorlag: Naturschützer hatten einen Aufschub erwirkt. Dann erlaubte jedoch ein anderer Richter die Wiederaufnahme der Bauarbeiten. Inzwischen drehen sich die Windturbinen. Da Naturschützende keinen Zugang zum Gebiet haben, lassen sich allfällige Kollisionen nicht feststellen.
Auch wenn es BirdLife nicht gelungen ist, den Windpark zu stoppen, werden die Bemühungen zum Schutz des Lear-Aras verstärkt. Mit grosser Unterstützung von American Bird Conservancy richtet die Fundação Biodiversitas ein privates Schutzgebiet ein, das eingezäunt wird. Letzteres ist notwendig, um den illegalen Vogelfang zu vermindern.
Die Wildpopulationen des Lear-Aras wurden erst 1978 entdeckt. Sie brauchen heute mehr denn je die Hilfe der globalen Partnerschaft von BirdLife International – ebenso wie Tausende von Arten in den IBAs oder KBAs weltweit.
James Lowen ist ein britischer Buchautor, Journalist und Fotograf, der regelmässig für BirdLife schreibt.
Dieser Artikel erschien in etwas längerer Form zuerst im Magazin «BirdLife» von BirdLife International vom Oktober 2024.
Schweizer IBAs: Schutz ungenügend
In der Schweiz gibt es 31 Gebiete, die von BirdLife Schweiz und der Vogelwarte nach internationalen Kriterien als Important Bird and Biodiversity Areas (IBAs) ausgeschieden wurden. Es handelt sich um grossflächige Lebensräume, die für die 29 für die Schweiz relevanten «IBA-Arten» als Brut- oder Überwinterungsgebiete besonders wichtig sind. Während viele IBAs weltweit und insbesondere in der EU in nationale und internationale Schutzgebietsnetze eingeflossen sind, sind in der Schweiz bisher weder die IBAs noch andere wichtige Lebensräume ausreichend geschützt. Dies versucht BirdLife Schweiz mit Unterstützung zahlreicher Ehrenamtlicher seit Jahren zu ändern.
Weitere Infos: birdlife.ch/iba
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