Mit neunstündiger Verspätung, aber doch mit grossem Erfolg ging am 20. Oktober 2012 die 11. Uno-Biodiversitätskonferenz im indischen Hyderabad zu Ende. Bis drei Uhr früh hatten sich die umstrittenen Verhandlungen hingezogen – nur gerade eine Viertelstunde weniger als die Konferenz von Nagoya vor zwei Jahren. Damals war der historische Strategische Plan der Biodiversitätskonvention mit den Biodiversitätszielen 2020 (Aichi targets, benannt nach der japanischen Präfektur, in der Nagoya liegt) nur deshalb zustande gekommen, weil die Finanzierungsfrage verschoben worden war.
Dieses Mal musste eine Lösung für die Bereitstellung der nötigen Finanzen gefunden werden, sollte die Umsetzung der Aichi-Ziele nicht schon in der ersten Phase scheitern. Doch die 193 Vertragstaaten der Biodiversitätskonvention machten es spannend, ob eine Einigung zustanden kommen würde. Daran beteiligt war gerade auch die Schweiz.
Der Bundesrat hatte beschlossen, dass zuerst der Finanzbedarf für den Schutz der biologischen Vielfalt präzise erfasst werden müsse, vor allem in den Empfängerländern der vorgesehenen Finanzhilfen, bevor Beitragsziele festgelegt werden können. Das tönt auf den ersten Blick verständlich. Nur: Nicht einmal die Schweiz hat bisher eine umfassende Schätzung der Kosten des Schutzes und der Förderung der biologischen Vielfalt im eigenen Land erarbeiten können, es liegt erst eine Schätzung der heutigen Ausgaben vor. Wie sollen denn die Entwicklungsländer diesen präzisen Finanzbedarf berechnen können?
An der Konferenz zeigte das Uno-Entwicklungsprogramm UNDP, dass ohne Biodiversitätsschutz keine Entwicklung möglich ist: «Wenn wir die Vögel verlieren, die auf unseren Feldfrüchten Schädlinge bekämpfen – ist das überhaupt Entwicklung?» © SVS
Zusätzliche Mittel nötig
Eine von Indien und Grossbritannien unterstützte hochkarätige Expertengruppe kam zum Schluss, dass 2013 bis 2020 für den Biodiversitätsschutz jährlich 130 bis 430 Milliarden Dollar nötig seien. BirdLife International und weitere Partner berechneten jährliche Kosten allein für den Schutz aller bedrohten Arten (nicht nur der Vögel) von 3,4 bis 4,7 Milliarden Dollar. Auch in der Schweiz wissen wir, dass es für die Erhaltung der biologischen Vielfalt ein Mehrfaches der heute zur Verfügung gestellten Mittel braucht, allein schon für die Werterhaltung der national bedeutenden Gebiete. Es war deshalb im Vorfeld der Biodiversitätskonferenz allen klar, dass sowohl innerhalb der Schweiz als auch zur Unterstützung von Entwicklungsländern mehr Geld nötig ist.
Eine wichtige Rolle beim Finden von Lösungen spielte an der Konferenz von Hyderabad BirdLife International. Das Sekretariat und elf Partner waren an der Konferenz vertreten, darunter der SVS/BirdLife Schweiz, der mit seinem Geschäftsführer die Umweltallianz in der offiziellen Schweizer Delegation vertrat. Der Direktor des BirdLife-Partners in Kenya, Paul Matiku von NatureKenya, war sogar der offizielle Sprecher aller afrikanischen Staaten in Sachen Finanzen und nach der Verkündigung der erfolgreichen Lösung wohl der am Schluss erfolgreichste Unterhändler der Konferenz.
In Hyderabad gesehen: Der «Science Train» fährt kreuz und quer durch Indien. 2012 zeigt er eine Biodiversitätsausstellung – der Besucheransturm ist riesig. © SVS
Der definitive Entscheid zu den Finanzen lautete, dass im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2006-2010 der internationale Finanzfluss an die Entwicklungsländer bis 2015 verdoppelt und dann bis 2020 mindestens auf diesem Niveau gehalten wird. Die Empfängerländer müssen gleichzeitig der Biodiversität in ihren nationalen Entwicklungsplänen Priorität geben. Die EU unterstützte in ihrer Medienmitteilung den Beschluss: «Der Biodiversitätsverlust ist heute eines der weltweit grössten Probleme. Künftige Generationen würden es uns nicht verzeihen, wenn wir unsere kostbaren Ökosysteme, Lebensräume und Arten nicht entschlossen schützen.» Das müsste auch für die Schweiz gelten. Doch unser Land wollte den Kompromiss nicht mittragen, blockierte aber wenigstens die Einigung der überwältigenden Mehrheit der anderen Staaten nicht.
Berechnungen des SVS/BirdLife Schweiz, die er der Schweizer Delegation und Bundesrätin Doris Leuthard in Hyderabad erläutern konnte, hatten gezeigt, dass unser Land bei der Erfüllung des neuen Finanzzieles der Staatengemeinschaft schon ziemlich weit ist, nachdem das Parlament erst kürzlich die Entwicklungshilfe deutlich aufgestockt hat.
Biodiversität und Entwicklungshilfe
In der Herbstsession 2012 hatten die eidgenössischen Räte für die nächsten vier Jahre über 11 Milliarden Franken Entwicklungshilfe bewilligt. In der Botschaft, auf welcher der Beschluss beruht, ist an vielen Stellen von der Bedeutung der Biodiversität, der Artenvielfalt oder des Schutzes der natürlichen Ressourcen die Rede. Bereits ganz am Anfang steht, dass die Biodiversität eines jener globalen öffentlichen Güter ist, deren Schädigung die Entwicklung gefährdet. Dem stimmt auch das Uno-Entwicklungsprogramm UNDP voll zu: In seiner neusten, in Hyderabad lancierten Kampagne zeigt es, dass eine «Entwicklung» ohne Schutz der Biodiversität gar nicht als Entwicklung gelten kann.
Nun müssen DEZA und SECO, welche den Milliardensegen verteilen, beweisen, dass sie die weltweite Neuausrichtung der Entwicklungsarbeit und die Aussagen gegenüber dem Parlament auch umsetzen. Schätzungen gehen davon aus, dass heute 60 Millionen Franken der Schweizer Entwicklungshilfe für Biodiversitätsprojekte eingesetzt werden. Eine Verdoppelung dieses Basiswerts bis 2015 bedeutet einen Anstieg in den nächsten drei Jahren über 80 und 100 auf 120 Millionen. Für 2013-2016 wären es total 420 Millionen, also nicht einmal 4 Prozent der gesamten Entwicklungshilfe des Bundes.
In ihrer Medienmitteilung zum Abschluss der Konferenz liess die Schweiz offen, ob sie bereit ist, sich an die gemeinsamen Vorgaben zu halten. Zuerst wurde richtigerweise festgehalten: «Finanzielle Mittel bis 2015 verdoppelt». Ein paar Sätze weiter hiess es dann aber, dass es der Schweiz «nicht möglich» gewesen sei, dem Finanzziel formell zuzustimmen, um dann noch etwas weiter zu sagen, dass dieses «trotzdem als Referenz für das nationale und internationale Engagement der Schweiz» dient. Der SVS/BirdLife Schweiz erwartet von unserem Land, dass es solidarisch die Beschlüsse der Staatengemeinschaft umsetzt.
Schweizer Aktionsplan in Arbeit
Zusätzlich zum Finanzbeschluss gab es in Hyderabad viele weitere bedeutende Entscheide. Besonders wichtig für unser Land ist der Beschluss zur Umsetzung des Strategischen Plans. Die zehn Ziele der Strategie Biodiversität Schweiz (SBS), die seit April 2012 verbindlich vorliegen, verpflichten alle Akteure zu mehr Handeln für die Natur und zeigen erste Wirkung. Messbare Ziele, wirksame Massnahmen und die nötigen Mittel müssen nun im Aktionsplan konkretisiert werden. Die Arbeiten wurden vom Bund am 9. November 2012 an einem Startanlass lanciert. Der SVS/BirdLife Schweiz koordiniert für die Umweltallianz das Engagement der Natur- und Landschaftsschutz-Organisationen bei der Arbeit an den über zwei Dutzend Handlungsfeldern des Aktionsplans.
Die Schweiz muss mit ihrem Biodiversitätsschutz jetzt endlich vorwärts machen. Die Zeit zur Erreichung der Biodiversitätsziele 2020 wird langsam knapp!
Es geht voran