Auch an diesem Bahnabschnitt bei Wettswil führt die lokale BirdLife-Sektion Arbeitseinsätze durch. © Martin Weggler
Die Bahnlinie von Zürich in Richtung Zug führt zuerst durch verbaute Vororte. Dann wird die Landschaft immer ländlicher; Dörfer wechseln sich ab mit Wiesen und Feldern, und wer gut hinschaut, entdeckt immer wieder kleine Naturschutzgebiete, «verwilderte» Ecken und einmal eine grössere Teichlandschaft. Doch nicht nur die Landschaft des Knonauer Amts oder «Säuliamts» lohnt einen Blick. Engagierte Naturschützer der lokalen BirdLife-Sektionen haben noch näher fokussiert und die Bahnborde begutachtet – jene 10 Meter oder noch breiteren Streifen links und rechts des Gleises, denen üblicherweise nicht gross Beachtung geschenkt wird.
Bald war klar: Die 26 Kilometer langen Bahnborde zwischen Zürich und Knonau haben ein grosses ökologisches Potenzial und könnten zahllosen teils seltenen Arten als Lebensraum und Vernetzungskorridore dienen. Meist bestehen sie aus Wiesen mit Einzelbüschen oder Hecken, man findet aber auch Wäldchen oder Ruderalstandorte. Das Problem: Bis anhin werden die Flächen nicht gerade biodiversitäts-freundlich bewirtschaftet. Die Pflege durch die SBB erfolgt so kostengünstig wie möglich – die Borde werden einmal jährlich mit einer grossen Maschine gemulcht, sprich das Gras wird zerstückelt. Damit werden nicht nur die meisten Kleintiere getötet, es wird auch den grösseren Tieren wie den Vögeln oder Reptilien die Nahrung entzogen. «Uns war klar, dass wir da aktiv werden wollten», erinnert sich Andrin Gross, einer der Initianten des Projekts «Natur neben dem Gleis». Dieses startete 2016 und hat zum Ziel, die Bahnborde aufzuwerten.
Zehn BirdLife-Sektionen sind am Projekt beteiligt, es stehen bislang rund 100 000 Franken zu Verfügung. Das Geld stammt aus dem Lotteriefonds des Kantons Zürich, von einzelnen Gemeinden und von BirdLife-Sektionen. Die Projektleitung liegt bei Walter Zuber, ehemals Präsident des Vereins Naturnetz Unteramt (VNU), Werner Schwehr vom Verein Gartenrötel Uitikon und Andrin Gross vom NVV Birmensdorf.
Das Schöne zuerst
Der besonders schöne Teil des Projektes – die Kartierung der Reptilien – startete im Frühling 2016. Die Grundlagen dazu wurden von der Orniplan AG und von Manuel Frei von freinatur erarbeitet. Rund 60 Ehrenamtliche liefen bis in den Herbst hinein jede Woche einzelne Böschungsabschnitte ab. Um die Reptilien besser finden zu können, legten die Helfenden Platten aus, unter die sich die Tiere gerne verkriechen. «Beim Aufheben der Platten kann man die Reptilien gut zählen», erzählt Walter Zuber.
Der Schlussbericht vom Februar 2017 zeigte auf, dass entlang der Bahnstrecke fünf Reptilienarten in teils hohen Dichten vorkommen: Es wurden 769 Blindschleichen, 1086 Zauneidechsen, 115 Mauereidechsen, 19 Ringelnattern und 7 Schlingnattern entdeckt.
Für Aufwertungen prädestiniert
Die Ergebnisse ermutigten die Naturschutzvereine, in die zweite Phase zu starten: jene der Umsetzung der Reptilienförderungs-Massnahmen. «Die Strecke von Zürich bis nach Zug ist für Aufwertungen prädestiniert», ist Walter Zuber überzeugt. Zum einen hat der Kanton Zürich bereits vor rund 15 Jahren in einem Bericht aufgezeigt, dass diese Böschungen für die Biodiversität wertvoll und wichtig sind. Zum anderen wird der Abschnitt in einem Bericht der SBB und des Bafu von 2009 als Prioritätsstrecke für Aufwertungen ausgewiesen. Auch als Vernetzungskorridor und Teil der Ökologischen Infrastruktur, die gemäss Aktionsplan Biodiversität des Bundes aufgebaut werden soll, ist der Abschnitt sehr wichtig.
In Gesprächen mit der SBB, der Fachstelle Naturschutz des Kantons und anderen Institutionen loteten die Projektverantwortlichen 2017 aus, was wo machbar ist. Ein 45-seitiger Umsetzungsplan schaffte Klarheit. Er zeigt für jeden einzelnen Bahnabschnitt, was konkret getan werden sollte. «Es ist unser Ziel, möglichst viele der Ideen umzusetzen», sagt Walter Zuber.
Im Plan steht zum Beispiel, dass verbuschte Flächen aufgelichtet werden sollen. Hecken benötigen eine ökologischere Pflege. Für die Reptilien sind mehr Verstecke und Eiablageplätze wichtig, so Steinhaufen, Wurzelstöcke oder Heuhaufen. Zudem soll die Unterhaltspflege generell verbessert und die Mulchmaschine durch den Balkenmäher ersetzt werden. Das Gras könnte man abschnittsweise drei bis fünf Jahre lang stehen lassen, was ökologisch wertvolle Altgrasstreifen schafft und die Unterhaltskosten sogar reduziert.
Schon 30 Prozent umgesetzt
Der Elan war und ist ungebrochen – seit 2017 konnten die BirdLife-Vereine und ihre Partner bereits einiges umsetzen. «Zwischen Birmensdorf und Urdorf haben wir ein artenreiches Wäldchen aufgewertet», erzählt Werner Schwehr, der sich stark für das Projekt engagiert. «Bei Schlieren haben wir erreicht, dass zukünftig fast eine Hektare Bahndamm-Flächen mit dem Balkenmäher gemäht wird.» Eine grössere Fläche zwischen Mettmenstetten und Knonau soll zukünftig eine bessere Pflege erhalten, damit sie nicht verbuscht. In den Gemeinden Bonstetten und Wettswil wiederum sind zahlreiche neue Wurzelstöcke und andere Kleinstrukturen zu sehen. «Bis jetzt haben wir rund 30 Prozent der Massnahmen umgesetzt, die wir uns vorgenommen haben», so Werner Schwehr. Nicht enthalten sind die vielen Fördermassnahmen, die von den Sektionen schon früher realisiert wurden.
Alles Mulchen ist gesetzeswidrig
Eine grössere Knacknuss ist die Verbesserung der Unterhaltspflege durch die SBB. Besonders einfach wäre das Stehenlassen von Altgras-Streifen, da diese Massnahme nichts kostet. Peter Henauer, Leiter Natur der SBB-Region Ost, denkt darüber nach, dies einzuführen. Ansonsten ist das Hauptproblem das Budget, da eine ökologische Pflege etwas mehr kostet. Und dieses Budget für die reguläre Pflege muss von der SBB erst noch gesprochen werden – zumal die Bahnlinie als potenzielle Aufwertungsstrecke ausgewiesen wurde.
Wie Letzteres kam, ist interessant. Nach jahrelangen Gesprächen mit dem Bundesamt für Umwelt hatte sich die SBB nämlich 2009 durchgerungen, 20 Prozent aller eigenen Bahnböschungen zukünftig ökologisch zu bewirtschaften. Dies, nachdem Juristen zum Schluss gekommen waren, dass das flächendeckende Mulchen gar nicht gesetzeskonform ist. Welche Strecken ökologisch bewirtschaftet werden sollten, wurde in einem Bericht vorgeschlagen. Neben der Linie Zürich-Knonau liegt eine weitere aufwertungswürdige Strecke im Aargau, wo bereits ein Pilotprojekt läuft. Auch dort helfen BirdLife-Sektionen tatkräftig mit, die Borde naturgerechter zu pflegen. Doch sonst ist seit dem Bericht vor zehn Jahren nicht sehr viel gelaufen – auch wenn die SBB das anders sieht: «Es gibt bereits zahlreiche ökologisch bewirtschaftete Flächen», sagt Marianne Gmünder, Fachexpertin Natur bei der SBB. Als Beispiele erwähnt sie Trockenwiesen und -weiden in St-Ursanne oder entlang der Neubaustrecke zwischen Mattstetten und Rothrist.
SBB denkt über Lösungen nach
Ende Juni wurde bekannt, dass die SBB 70 000 Franken in Naturschutz-Projekte entlang der Linie Zürich-Knonau investieren will. Es kommt also Bewegung in die Sache – wohl auch wegen des Projekts «Natur neben dem Gleis». Die Frage ist nun, wie das Geld eingesetzt wird – ob in punktuelle Projekte oder in die Verbesserung der Pflege der gesamten Fläche. Aber auch sonst ist die SBB aktiver: Sie führt derzeit mit den Kantonen Gespräche über die zukünftige Finanzierung einer besseren Pflege. In der Leistungsvereinbarung 2021–2024 zwischen der SBB und dem Bund sollen ebenfalls Gelder bereitgestellt werden.
Letzthin meldeten die Bundesbahnen auch, dass sie zukünftig auf Glyphosat verzichten wollen. Es scheint, als würde dem Bundesbetrieb die Dringlichkeit des Problems langsam bewusster. Das ist enorm wichtig, denn die SBB unterhält 50 Millionen Quadratmeter Grünflächen, was etwa 7000 Fussballfeldern entspricht. «Der Handlungsbedarf auf den SBB-Flächen ist sehr gross», sagt Martin Schuck, Projektleiter Artenförderung bei BirdLife Schweiz. «Einfach alle Flächen zu mulchen ist keine Option mehr.» Auch dem Problem der invasiven Neophyten, die sich entlang der Bahnlinien ausbreiten, müsse die SBB verstärkt Beachtung schenken.
Zwischen Zürich und Knonau ist nun ein Anfang gemacht. Die Gespräche mit der SBB geben Anlass zur Hoffnung.
Stefan Bachmann ist Biologe und Redaktor von Ornis.
Eine Bahnlinie für Reptilien & Co.