Es waren eindringliche, kritische Voten, die Hans Peter Pfister anlässlich der Lancierung des Impulsprogramms für die Vogelwelt im Jahr 2002 schrieb: «Die Naturschutzgesetzgebung verlangt seit langem, dass die einheimischen Arten und ihre Lebensräume in ausreichendem Masse zu schützen und zu erhalten seien. Trotz oft guten Kenntnissen und akutem Bedarf [...] ist der Schutz der Arten ungenügend», so der damalige Direktor der Schweizerischen Vogelwarte Sempach, der im Februar 2020 leider verstorben ist.
Das Impulsprogramm bestand aus fünf Forderungen, die BirdLife Schweiz und die Vogelwarte gemeinsam aufgestellt hatten. Werner Müller, Geschäftsführer von BirdLife Schweiz, präsentierte diese Forderungen damals an einer Medienkonferenz. Eine der Forderungen lautete, es sei ein Artenförderungsprogramm zu starten. So schrieben die Initiatoren des Impulsprogramms damals: «Das Buwal [heute Bafu] unterstützt eine Vorphase des Programms Artenschutz Vögel Schweiz, die sich der Konkretisierung der Schutzmassnahmen und der Berechnung der nötigen Mittel widmet. Wichtig ist, dass Bund und Kantone anschliessend genügend Mittel zur Verfügung stellen, um die Artenförderungsprogramme wirksam umzusetzen.»
Achtzehn Jahre später wird das Programm «Artenförderung Vögel Schweiz» in derselben Partnerschaft geführt: von BirdLife Schweiz, Schweizerischer Vogelwarte und dem Bundesamt für Umwelt (Bafu). Es ist gerade diese langjährige Zusammenarbeit zwischen Institutionen mit unterschiedlichen Aufgaben, Kompetenzen und Stärken, welche die Erfolge des Programms ermöglichte.
Ein Impulsprogramm für die Vögel
Bestandsrückgänge von Vogelarten sind nicht erst seit dem neuen Brutvogelatlas der Vogelwarte Sempach von 2018 ein Thema (siehe Ornis 6/18); bereits der Brutvogelatlas aus dem Jahr 1998 zeigte den starken Rückgang vieler Arten auf. Dies war der Grund, warum BirdLife Schweiz und die Vogelwarte 2002 das Impulsprogramm für die Vögel starteten.
Bereits ein Jahr darauf riefen BirdLife Schweiz und die Schweizerische Vogelwarte mit Unterstützung des Bafu das Programm «Artenförderung Vögel Schweiz» ins Leben. Es zielt darauf ab, die bestandsgefährdenden Faktoren für die 50 «Prioritätsarten Artenförderung» (also jene Arten, die auf spezifische Massnahmen angewiesen sind) zu erkennen und ihre Lebensgrundlagen zu verbessern. Die Vogelwarte und BirdLife Schweiz errichteten gemeinsam eine Koordinationsstelle und publizierten Grundlagen zur Umsetzung von Artenförderungsprojekten für diese Arten.
Aktionspläne benennen Defizite
Ein wichtiger Meilenstein war die Lancierung von nationalen Aktionsplänen zur Förderung ausgewählter Vogelarten. Diese Aktionspläne benennen die artspezifischen Defizite und Probleme, zeigen die Erfahrungen aus Schutz und Forschung auf und formulieren Ziele. Vor allem aber schlagen sie regional angepasste Massnahmen vor und benennen Akteure und Partner.
Ab 2008 publizierten Bafu, die Vogelwarte und BirdLife Schweiz gemeinsam sechs Aktionspläne: für Auerhuhn, Mittelspecht, Weissstorch, Flussuferläufer, Wiedehopf und Steinkauz. Der inoffizielle siebte, der Aktionsplan Wachtelkönig, ist älter. Er wurde schon 1996 von BirdLife erstmals publiziert und im Rahmen des Programms überarbeitet.
Ein Plan allein nützt den Vögeln aber nichts, solange er nicht umgesetzt wird. Vogelwarte und BirdLife Schweiz unterstützen und beraten deshalb die Behörden in den Kantonen sowie die Akteure vor Ort.
Dass die Kantone die Aktionspläne gut aufgenommen haben und die Finanzierung im Rahmen des neuen Finanzausgleichs mit dem Bund koordiniert wird, zeigen die ersten Zwischenbilanzen, die jetzt für Auerhuhn und Mittelspecht vorliegen. Dem Auerhuhn fehlen störungsarme, offene und zwergstrauchreiche Bergwälder, dem Mittelspecht Wälder mit längerfristig genügend grossen Eichen, anderen grobborkigen Bäumen und stehendem Totholz. Im Rahmen der beiden Aktionspläne wurden deshalb vielerorts forstliche Eingriffe und Sonderwaldreservate realisiert, die den Lebensraum in prioritären Regionen fördern. Noch verbesserungswürdig ist die Erfolgskontrolle der getroffenen Massnahmen. Zudem sind die finanziellen und personellen Ressourcen derzeit zu knapp, um alle Aktionspläne optimal zu begleiten.
Aufwändige Aktionspläne
Die Erarbeitung von Aktionsplänen für jede einzelne Art ist aufwändig. InfoSpecies – das Schweizerische Informationszentrum für Arten – entwickelt deshalb derzeit im Auftrag des Bafu einen Aktionsplan mit neuem Ansatz: den Aktionsplan Lichter Wald. Dieser umfasst nicht nur Vogelarten dieses besonderen Lebensraums, sondern alle Organismengruppen: Gefässpflanzen, Moose, Flechten, Pilze, Insekten etc.
Das Ziel des Aktionsplans Lichter Wald: bei Aufwertungsmassnahmen die Ansprüche aller Zielarten zu berücksichtigen und sie mit geeigneten Massnahmen zu fördern. So soll die Biodiversität als Ganzes profitieren. Die Koordinationsstelle Artenförderung Vögel Schweiz war Mit-Initiantin dieses Aktionsplans über verschiedene Organismengruppen.
Natürlich erfordert ein solcher Aktionsplan einen grösseren Koordinationsaufwand. Er erlaubt aber auch die Nutzung von Synergien und hilft, Zielkonflikte zu vermeiden. Man darf gespannt sein, welche Erfahrungen mit diesem neuen Instrument gemacht werden und ob es gelingt, die typischen Arten der lichten Wälder wirksamer zu fördern.
Im Rebberg Zinggibrunn in Muttenz BL werden Gartenrotschwanz und Zaunammer gefördert. © Lukas Merkelbach
Über 50 Projekte für Vögel
Das Programm «Artenförderung Vögel Schweiz» ist aber nicht nur für jene sieben Arten mit Aktionsplan aktiv. Mit aktuell über 50 Projekten setzen sich BirdLife Schweiz und die Vogelwarte konkret für die «Prioritätsarten Artenförderung» in der ganzen Schweiz ein. Die meisten Projekte führen die beiden Institutionen in enger Zusammenarbeit mit Kantonen, Ehrenamtlichen und weiteren Partnern wie Naturpärken durch.
Diese beispielhaften Umsetzungsprojekte sind ein ganz wichtiger Teil des Programms – etwa jenes für den Kiebitz. Die Vogelwarte Sempach startete 2005 ein Projekt zur Erforschung und Förderung der Art im Ackerland des Wauwilermoos LU (siehe Ornis 1/19). Die gezielten Massnahmen haben zu einem Bestandswachstum geführt. Seit vielen Jahren ist die Kolonie im Wauwilermoos nun die schweizweit grösste: 2019 brüteten hier 46 Paare.
BirdLife Schweiz ist an mehreren Projekten zur Förderung des Kiebitzes beteiligt, so im Neeracherried ZH, im Grossen Moos BE/FR und im Kanton Schwyz. Zudem erstellen BirdLife Schweiz und die Orniplan AG mithilfe zahlreicher Ehrenamtlicher seit 2010 jährlich eine Übersicht über die Schweizer Kiebitzbrutplätze und die dortigen Förderungsmassnahmen.
Aus Vertreterinnen und Vertretern der Ehrenamtlichen haben BirdLife und die Vogelwarte die Arbeitsgruppe Kiebitz gegründet. Sie trifft sich alle zwei bis drei Jahre, um bestehende Projekte zu begutachten und von den Erfahrungen zu lernen. Dies ermöglicht einen optimalen Informationsaustausch – oftmals auch grenzüberschreitend – und eine kontinuierliche Optimierung der Artenförderungsprojekte. Zahlreiche Projekte, die meisten auf private Initiative und oft in Zusammenarbeit mit dem Standortkanton, profitieren von diesem Erfahrungsaustausch.
Kiebitz hat sich erholt
Beim Kiebitz scheint es zu funktionieren: Der Brutbestand, der zwischen 1980 und den Nullerjahren um gegen 90 Prozent eingebrochen war, hat sich vom Tiefststand von 2004/2005 mit knapp 80 Brutpaaren erholt und zählt heute wieder gut 200 Brutpaare. Der Kiebitz wird deshalb in der Roten Liste, welche die Vogelwarte derzeit im Auftrag des Bafu erarbeitet, um eine Kategorie zurückgestuft werden können.
Für viele Prioritätsarten sind gezielte Massnahmen zur Aufwertung des Lebensraums nötig. So braucht das Braunkehlchen ausgedehnte und spät geschnittene Blumenwiesen. In den Kantonen Freiburg, Graubünden, Schwyz, Waadt und Wallis arbeiten Vogelwarte und BirdLife deshalb darauf hin, dass wichtige Wiesen für das Braunkehlchen spät geschnitten werden. Davon profitieren auch Wiesenpieper und Feldlerche.
Den Obstgarten-Bewohnern wie Steinkauz, Wendehals und Gartenrotschwanz wiederum fehlt es oft weniger an Bäumen als an nährstoffarmen, insektenreichen Wiesen mit Kleinstrukturen und einer kleinparzellierten Nutzung zwischen den Bäumen, die auch offenen Boden für den Beutefang zulässt. In verschiedenen Projekten werden diese Lebensräume gemeinsam mit Partnern gefördert.
Auch hier bei Biel-Benken BL profitieren Gartenrotschwanz und Zaun-ammer von einer kleinparzellierten Landwirtschaft, Totholz und Strukturen. © BirdLife Schweiz
Viele Vorzeigeprojekte
Mehrere Umsetzungsprojekte sind zu regelrechten Leuchtturmprojekten geworden. Dort werden neuartige Massnahmen getestet und durch Publikationen, Begehungen und Kurse bekannt gemacht. Gerade in der Landwirtschaftszone, wo die Krise der Biodiversität besonders stark ist, existieren mehrere beispielhafte und grosse Umsetzungsprojekte: in der Champagne genevoise GE, im Grossen Moos BE/FR, am Farnsberg BL oder im Klettgau SH, um nur die wichtigsten zu nennen. Sie zeigen, was alles nötig ist, damit naturnahe Strukturen und Biodiversitätsförderflächen wie Brachen, Hecken oder Kleinstrukturen die angestammte Vogelwelt wieder beleben. Diese Projekte kommen sowohl den Prioritätsarten als auch vielen anderen Arten zugute, die ähnliche Ansprüche an ihren Lebensraum haben.
Nicht nur beim Kiebitz, auch bei Weissstorch, Flussseeschwalbe, Steinkauz, Wiedehopf, Mittelspecht, Wendehals, Dorngrasmücke und Dohle trug die Artenförderung zur Erholung der Bestände bei. Das zeigt sich auch bei der aktuellen Überarbeitung der Roten Liste der Brutvögel der Schweiz, die das Aussterberisiko der Arten beurteilt: Kiebitz, Weissstorch und Dohle können jeweils um eine Gefährdungskategorie zurückgestuft werden. Steinkauz und Wiedehopf wurden bereits bei der Überarbeitung der Roten Liste 2010 in eine tiefere Gefährdungsstufe gestellt.
Diese Beispiele zeigen: Wo entsprechende Projekte gestartet werden konnten und Land für die Umsetzung der Massnahmen zur Verfügung stand, hat die Artenförderung meist funktioniert. Verbesserungen bei der Bestandsentwicklung sind auch für bedrohte Arten möglich.
Die Zukunft der Artenförderung
Weiterhin sind die Herausforderungen für den Erhalt der Vogelwelt und der Biodiversität sehr gross. Während es einigen Arten dank der Artenförderung heute besser geht als vor 20 Jahren, sind andere im Sinkflug. Die neue Rote Liste wird deshalb nicht kürzer sein als die derzeit noch gültige von 2010. Auch 2020 könnte Hans Peter Pfister schreiben: «Trotz oft guten Kenntnissen und akutem Bedarf [...] ist der Schutz der Arten ungenügend.»
Eines der grössten Probleme ist der weiterhin dramatische Biodiversitätsverlust im Landwirtschaftsgebiet. Dies hängt mit der Agrarpolitik zusammen, die es vielerorts nicht einmal ermöglicht, im Rahmen von gezielten Artenförderungsprojekten im notwendigen Umfang Massnahmen zugunsten bedrohter Arten umzusetzen.
Weil es an finanziellen und personellen Ressourcen fehlt, können längst nicht für alle Prioritätsarten, die es nötig hätten, Projekte gestartet werden. Ja – nicht einmal alle bestehenden Aktionspläne können optimal koordiniert, begleitet und umgesetzt werden.
Auf den Erfahrungen aufbauen
Dank Artenförderungsmassnahmen haben die Bestände mehrerer Vogelarten wieder zugenommen. Bei anderen dürfte dies bei verstärktem Engagement künftig möglich sein. In den nächsten Jahren gilt es, auf den bisherigen Erfolgen und positiven Erfahrungen aufzubauen. Mit den Kantonen wollen BirdLife Schweiz und Vogelwarte Sempach die Zusammenarbeit im Programm «Artenförderung Vögel Schweiz» weiter stärken. Einerseits, um gemeinsam weitere Projekte im Bereich Fauna und Naturschutz durchzuführen; andererseits, um die kantonalen Sektoralpolitiken – etwa die Land- und Forstwirtschaft – noch direkter anzusprechen und für Massnahmen zum Schutz gefährdeter Arten zu motivieren.
Die Umsetzung der Artenförderung läuft gut und trotz der vielen beteiligten Partner koordiniert. Zu den Partnern gehören auch zahlreiche Stiftungen, welche die Artenförderungsprojekte grosszügig unterstützen. Ihnen sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt.
Eines zeigen 18 Jahre Programm «Artenförderung Vögel Schweiz» in jedem Fall: Wo der politische Wille und die notwendigen Ressourcen vorhanden waren, hat die Artenförderung fast ausnahmslos funktioniert. Artenförderung lohnt sich!
Dr. Raffael Ayé und Dr. Reto Spaar leiten gemeinsam die Koordinationsstelle des Artenförderungsprogramms von BirdLife Schweiz und Vogelwarte Sempach.
Artenförderung funktioniert!