1001 Tümpel für Laubfrosch und Co.

Amphibienschutz in der Schweiz. Austrocknende Tümpel beherbergen ein anderes Artenspektrum als ganzjährig wasserführende Weiher. Um die temporären Tümpel in der Schweiz zu fördern und so gefährdeten Amphibienarten wichtigen Lebensraum zu bieten, hat die Koordinationsstelle Amphibien- und Reptilienschutz Schweiz karch zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt BAFU das Projekt «1001 Tümpel» lanciert. In den nächsten 10 Jahren sollen mindestens 1000 neue Tümpel entstehen.


Mit dem Wasser in der Schweiz steht es im Argen. Kaum einen Lebensraum hat der Mensch so stark verändert, verbaut und zerstört wie die Gewässer. Davon sind einerseits die grossen Seen und Flüsse betroffen, aber auch Kleinseen, Feuchtgebiete und Weiher. In Zahlen ausgedrückt: In den letzten 150 Jahren gingen im Kanton Zürich mehr als 90 Prozent der Feuchtgebietsflächen verloren, der klägliche Rest ist oft stark isoliert.

Ähnliche Zahlen gelten auch für andere Kantone des Mittellandes. Die verbleibenden Gebiete befinden sich oft in einem schlechten Zustand. Dies hat gravierende Konsequenzen für die Biodiversität der Gewässer. Ob Pflanzen, Vögel, Amphibien oder Insekten: Stets sind die Gewässerbewohner überproportional häufig auf der Roten Liste vertreten.

Der Naturschutz hat den Verlust der Weiher und Feuchtgebiete schon früh erkannt und deswegen viele «Biotope» angelegt. Diese Biotope sind eine gute Sache, aber sie ersetzen nur einen Teil der verloren gegangenen Weiher. Sie sind kein Ersatz für die Art von Weiher, die besonders stark vom Verlust der Gewässer und Feuchtgebiete betroffen ist: jene Gewässer, die nicht ganzjährig Wasser führen, sondern regelmässig austrocknen. Dazu gehören Grundwassertümpel oder Senken, die sich im Frühling durch die Schneeschmelze füllen. Oftmals wird die Bedeutung dieser Gewässer für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten nicht einmal erkannt.

Tümpel müssen austrocknen


Austrocknende Gewässer sind mindestens ebenso wichtig wie die ganzjährig wasserführenden, denn sie beherbergen ein ganz anderes Artenspektrum als der durchgehend wasserführende Seerosenweiher mit Schilfgürtel. Für Amphibien und vor allem für die Kaulquappen sind austrocknende Gewässer und dauernd wasserführende Weiher komplett unterschiedliche Lebensräume.

Tuempel Laupenau SZ 1
Der Weiher in trockenem Zustand.
Tuempel Laupenau SZ 4
Der Weiher in gefülltem Zustand.
In der Laupenau BE hat die karch einen Folienweiher mit einem künstlichen Ablass erstellt (im Betonschacht verborgen). © Silvia Zumbach


In dauernd wasserführenden Weihern bestimmen Fressfeinde wie Fische oder Grosslibellen- und Wasserkäferlarven das Überleben der Kaulquappen. Von 1000 Eiern schafft es nur eine Kaulquappe bis zur Umwandlung zum kleinen Frosch oder zur Kröte. In temporären Weihern gibt es keine bedeutenden Fressfeinde, denn diese können in Tümpeln, die jährlich austrocknen, keine Populationen etablieren. Es gibt aber auch Weiher, die nur alle paar Jahre austrocknen. Dort ist der Fortpflanzungserfolg im Jahr nach der Austrocknung am höchsten, da es dann am wenigsten Räuber hat.

Natürlich kann es vorkommen, dass der Tümpel einmal zu früh austrocknet und die Larven vertrocknen. Doch das ist keine Katastrophe, die Amphibien sind daran angepasst: Viele Arten, die auf solche temporäre Gewässer angewiesen sind, sind langlebig. Wenn also in einem Jahr gar kein Nachwuchs überlebt, können sie sich im Jahr darauf erneut fortpflanzen und auf bessere Bedingungen hoffen. Oder sie minimieren das Risiko eines Totalverlustes, indem sie mehrere Gelege zu verschiedenen Zeiten oder in verschiedene Gewässer ablegen. Unter dem Strich sind die Verluste durch das vorzeitige Austrocknen des Gewässers für diese Arten geringer als die Verluste durch Fressfeinde.

Die Erkenntnis, dass austrocknende Weiher der Schlüssel zum erfolgreichen Amphibienschutz sind, ist in den letzten Jahren gewachsen, aber noch nicht ausreichend in der Naturschutzpraxis angekommen. Teilweise werden auch heute noch austrocknende Gewässer tiefer gegraben oder es wird Wasser zugeleitet, um das Trockenfallen zu verhindern. Trocknet ein solches Gewässer jedoch über Jahre nicht aus, verliert es für viele Arten seinen Wert. Sie nutzen es zwar weiterhin als Lebensraum und Fortpflanzungsgewässer, aber ihr Fortpflanzungserfolg ist gering, und langsam sinkt ihr Bestand bis hin zum Aussterben. Dies ist der Fall bei vielen einheimischen Amphibienarten, die auf austrocknende Gewässer angewiesen wären und in permanenten Weihern kaum langfristig überleben können: Gelbbauchunke, Kreuzkröte, Laubfrosch, Springfrosch, Kamm- und Teichmolch.

Aber nicht nur Amphibien, auch viele Insektenarten wie manche Kleinlibellen sind auf austrocknende Gewässer angewiesen. Temporäre Gewässer können also einen wichtigen Beitrag zur Biodiversitätsförderung in der Schweiz leisten. Zudem sind sie eine überaus praktikable Variante des Artenschutzes: Sie beanspruchen wenig Platz und können während ihrer Trockenphase sogar noch anderweitig genutzt werden – zum Beispiel als Winterweide. Der Bau von temporären Gewässern ist ausserdem verhältnismässig kostengünstig, da aufgrund ihrer geringen Tiefe nicht viel Aushub anfällt. Manchmal reicht es sogar bereits, eine Drainage so zu regulieren, dass sich im Frühling Tümpel bilden, oder Fahrspuren, wie sie im Wald durch Forstarbeiten entstehen, nicht zuzuschütten.

Neue Tümpel braucht die Schweiz


Nicht überall ist es einfach, temporäre Gewässer zu schaffen. Oft kommt man ohne eine künstliche Abdichtung und einen eingebauten Ablass nicht aus. Das mag unnatürlich erscheinen, ist aber oft unumgänglich, da der natürliche Wasserhaushalt der Landschaft durch Drainagen, Gewässerkorrekturen oder Grundwasserabsenkungen massiv verändert wurde. Dass sich dieser künstliche Ansatz des Gewässerbaus lohnt, belegen verschiedene Projekte. So konnten durch den Bau ablassbarer Folienweiher zwei isolierte Laubfroschvorkommen an der Saane in den Kantonen Bern und Freiburg wieder verknüpft werden, der Laubfroschbestand hat sich inzwischen mehr als verdoppelt. Das Einstauen von Streueflächen im Bannriet (St. Galler Rheintal) kam für den Laubfrosch zwar zu spät, dafür pflanzen sich nun in den Flutwiesen Kammmolche fort, in den trockenen Bereichen wächst der Mittlere Sonnentau und zirpen Sumpfschrecken.

Um den Gewässertyp «temporärer Tümpel» in der Schweiz wieder zu verbreiten und die am stärksten gefährdeten Amphibienarten zu fördern hat die Koordinationsstelle Amphibien- und Reptilienschutz Schweiz karch zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt das Projekt «1001 Tümpel» gestartet. Die karch lanciert selber Projekte zum Bau temporärer Gewässer, bietet aber auch Beratung und Unterstützung an. Informationen zum Projekt finden Sie unter www.karch.ch.

 

Dr. Ursina Tobler ist Projektleiterin bei der Koordinationsstelle Amphibien- und Reptilienschutz Schweiz karch.

 

Unterstützung gesucht


Sind Sie interessiert, ein temporäres Gewässer in Ihrer Gemeinde zu bauen? Nehmen Sie Kontakt zur karch auf:

Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz Schweiz karch, Ursina Tobler,
ursina.tobler@unine.ch, Tel. 032 725 72 41

Der SVS hat zum Thema das Kleinstrukturen-Praxismerkblatt Nr. 7 «Pfützen und Tümpel» herausgegeben. Es kann auf der Hompage des SVS heruntergeladen werden:
www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/tuempel.pdf

Jetzt Ornis abonnieren und weiterlesen!

Ornis ist die Zeitschrift über Vögel, Natur und Naturschutz. Entdecken Sie 6-mal im Jahr wunderbar bebilderte Berichte, Reportagen aus dem In- und Ausland, Portfolios und vieles mehr!

Haben Sie ein Abo? Melden Sie sich an (Link ganz oben) und lesen Sie innert Sekunden weiter.
 

Jetzt Ornis abonnieren und weiterlesen!